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Reisetagebuch aus dem östreichischen Oberland.
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er den Kopf, ließ das Glas bedächtig auf den Boden gleiten, kratzte sich sehr geschickt mit der Spitze des linken Hornes an den entferntesten Theilen des Hinter­leibes, gähnte zwei, drei Mal mit höchst verständiger Miene und taumelte zuletzt unter den Tisch, nm sein Mittagsschläfchen zu halten. Du Schwclger, rief Baby, du bairischer Grobian, dn liederlichs Tuch, sauft dem Herrn 's ganze Bier weg! Du bist mir 'n sauberer Vogel! Ich brach über die moralische Entrüstung und die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit von Schimpfworten, mit denen Baby dem Bock ins Gewissen zu redcu ansing, in ein schallendes Gelächter aus. O, sagte sie, zu mir gewendet, der hat's dick hinter den Ohren! Man glaubt's gar nicht, was so'n Viech für'n Menschenverstand hat. Wanu's Bier an' Stich hat oder 's letzte vom Faß ist/ geht der Hansl ganz traurig herum, wird stößig uud will nix fressen und nix trinken, aber so'n süffiges Bierl wie heut, das kennt er gleich. Er is halt aus'm Bairischen!

Aber nicht blos der altbairisch.e, sondern auch der salzburgische Menschenschlag schien mir unverkennbare Aehnlichkeit mit Hansl zu haben: eben so gesund, fromm, hartköpfig und fast grade so einsilbig wie Hansl. Ich befand mich jetzt eine halbe Stunde von Salzburg und war gestern von St. Gilgen aus hergewandert. Ich konnte die Worte zählen, die ich in diesen anderthalb Tagen gehört hatte, Baby war aus Linz und machte daher eine Ausnahme. Diese Schweigsamkeit war mir auf meinen Fußreisen nur einmal vorgekommen: als ich durch den katho­lischen Theil von Knrhessen, in der Umgebung Fuldas, wanderte, wo ein mar­tialisch aussehender schöner Menschenschlag durch Schnaps, Noth und andere gute Geister sich eine gewisse uuangeuehme Ernsthaftigkeit anzugewöhnen gelernt hat. Hier jedoch machte das stille Wesen vou Land und Leuten einen ganz verschiedenen Eindruck; denn man sieht dabei keine saureu Gesichter wie in Kurhessen, und der Wanderer kann sich der Täuschung hingeben, das reizende Land mit seinen Be­wohnern verharre nur deshalb so lautlos, weil es in poetisches oder philosophisches Sinnen verloren ist. Grüße kurz, geh lächelnd deiner Wege und wecke die Ge­gend nicht aus ihren seligen Träumen!

Vom Wolfgaugsee aus führt die Straße über St. Gilgeu, daun am Fuschelsee vorbei immer aufwärts; auf ihrem Höhepunkt, wo man dem Jschler und Hall­städter Bergpanorama Lebewohl sagt, stehen zwei Einkehrhänser für Lebende und Todte; links ein Gasthof, rechts ein Friedhof mit Kirch' und Thurm. Der Schatten der zwei Kirchhoflinden, die sich hinter dem Portal erheben, fällt auf die kleine Steintreppe und die Ruhebänke zu beiden Seiten des WirthshanSthores; und aus dem Fenster meines Schlafzimmers zu ebener Erde konnte ich das Lob der gegenüber schlafenden Wanderer lesen. Dieser Ort heißt Hof. Vou da ueigt sich die Landschaft immer tiefer und der Weg, an die Bergstraße zwischen Darmstadt und Heidelberg erinnernd, führt bis eine Stunde , vor Salzburg an lanter ver-