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Die Zigeuner im Königreich Polen : eine Reiseskizze.
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aus den Lappen gewunden und zum ersten Male gewaschen worden, kommt es in die Hand des Stammhauptes, welches stets der älteste verheiratete Mann ist. Er umschliugt das junge Weseu mit eiuem Gurt, bindet es an die Spitze einer langen Stange, hält eine Rede und reicht das Kind sieben Mal über die Flamme des Feuers. Durch diesen Act ist erst förmlich und wirklich in den Bund der Zigeuuer aufgenommen, erst eigentlich nationalisirt worden und darf von da ab bis zum siebeuteu Jahre keiue Art voll Kleiduugöstücken trageu. So sieht mau dcilu auch die Kiuder der Zigeuuer ohue Uuterschied des Geschlechts bis zu diesem Alter uie auderö als uackt.

Erst uach dieser Ceremouie briugt mall das Kiud zur christlichen Taufe. Aber die meisteu Geistlicheu llehmen Austaud, eiu Zigeuuerkiud in der Kirche zu taufeu. Meist geschieht es vor der geschlossenen Kirchthür auf dem Gottesacker uud zwar uuter eilleul Crncisix, oder allf dem Pfarrhofe. Dies Verfahren mag auch durch die Vorsicht motivirt sein, zn welcher das imuler thätige Diebesgelüst der Zigeuuer uöthigt. Allster den vielen Pathell (gewöhulich Bauern) ist stets der gauze Zigeunerftamm auweseud, mit Allsuahule einiger Persoueu, die die Abwesenheit der gevatterstehenden Bauerll vou ihreu Hütteu zu Diebstähleu be- ulitzeu. Uud dies ist so gewöhulich, daß bei deu Baueru sich folgeudes Sprüch- wort gebildet hat:Hast du Svldateu iu der Hütte, so laß einen Wächter vor der Räucheresse daheim; stehst du mit ciuem Judeu iu Uuterhandlungeu, so laß zwei Wächter daheim, einen vor der Hütte, den andern vor dem Stalle; stehst dll bei einem Zigeuuer Gevatter, so laß drei Wächter daheim, einen vor der Hütte, eiueu vor dem Stalle und den dritten vor dem Speicher/'

Ich wohute drei Zigeunertaufeu bei. Die bäurischeu Patheu iu ihrer plum­pen Tracht, mit ihren dnmmgläubigen gutmüthigen Gesichtern, die vollkommeuste Nohheit uuter der gräßlichsteu Unfreiheit gepreßt und geformt; dabei die Gesell­schaft der theils ganz, theils halb nackten schwarzen Zigenner mit den Mienen ohne Glauben, voller Spott und Spitzbubengier, die vollkommenste Nohheit einer maßlosen, fast thierischen Freiheit. Dazwischen der Geistliche mit seinem sicht­baren Bewußtsein vou der Bedeutuug des Actes uud seinem Verdruß über den sichtbaren Mißbrauch desselbeu; es treten da Widersprüche hervor, die das Bild zum wunderlichsten in der Welt machen.

Für ihre Trauungen nehmen die Zigeuner in Polen niemals die Kirche in Anspruch, diese verrichten die Anführer der Stämme unter einer Menge änßerst roher Ceremonien, bei denen zum Theil der ganze Stamm ohne Unterschied des Geschlechts und Alters nur die Personen unter sieben Iahren sind ausge­schlossen mitwirkt. Es kommen dabei Scenen vor, welche dermaßen ekelhaft sind, daß der Schriftsteller keine Möglichkeit findet, sie zu schildern. Die letzte Scene vor der Verbiudungsrede des Häuptlings besteht in einer allgemeinen Besichtigung des Brautpaares, wobei es all Ausbrüchen thierischen Jubels uicht