«37
wo jeder junge Student seinen Einfällen über Politik dadurch die Weihe der Unfehlbarkeit zu geben glaubte, daß er sie in Verse brachte. Seitdem aber diese hohen Ansprüche aufgegeben sind, müssen mir mobl anerkennen, daß die politische Poesie wenigstens ebensoviel Berechtigung hat, als jede andere. Das Lied bat einen doppelten Zweck: entweder spricht es monologisch die Empfindungen uud Reflexionen des Dichters aus, die sich an irgend einen Gegenstand knüpfen, oder eS ist zum gesellschaftlichen Gesang bestimmt und soll der Stimmung, dem Glauben, der Begeisterung der Menge entsprechen. Für beide Fälle geben die großen Ereignisse der Politik, wenn man sie nur uicht philisterhaft behandelt, einen sehr geeigneten Stoff; denn die Empfindungen, die sie erregen, sind stark und lassen sich plastisch ausdrücken, weil sie sich an sehr concrete Gestalten und Bilder anknüpfen. Der Noyalist uud der Demokr.it, der Serbe und der Magyar werden so ihre Poesie haben, obgleich die Lieder des Einen nicht den Anspruch machen werden, die des Andern zu widerlegen. — Schließt man die Politik aus, so ist namentlich in den kleinen Liedern ü 1a Goetbe, Uhland und Heine die Eintönigkeit zuletzt nicht zu ertragen. Die ewigen Vöglein, Waldhörner, Frühlingsstimmeu, Glocken, weidende Sebafe, Todtenwürmer, die in der Wand picken, die Uhr übertönen, aber gegen den heftigen Schlag des Herzens nicht aufkommen u. s. w>, behalten zwar immer ihre Berechtigung, weil das Bedürfniß der Komponisten ein unabsehbares ist, und sie werden diesem Zweck um so mehr entsprechen, je siugbarer sie sind; aber für die Literatur haben sie keinen Werth. Wie in ihnen die Reminiscenz ihr schelmisches Spiel treibt, ist mir namentlich bei einem kleinen Lied aufgefallen: „Weinende Blumen" lp. 212), das Rhythmus, Reim, Inhalt und fast die Worte aus einem ähnlichen von Justinus Kerner entlehnt, gewiß, ohne daß sich der Dichter dessen bewußt wurde. Und wenn er gegen den Zeitgeist predigt:
Verklungen ist vor ihren Ohren,
O Herr, das sehnsuchtsvolle Lied,
Das zu dem Land, das uuS geboren,
Uus mahnend stetö hinüberzieht;
So taumeln, wie verirrte Kinder,
Im finstern Walde sie dahin,
Vor ihren Augen wird cö blinder
Uud dunkler stetö vor ihrem Siun u. s, w. — so ist darin ebensoviel Anklang an Novalis als mitleidsvolle Entrüstung über den herrschenden Unglauben. — Das Formtalent des Dichters ist übrigens höebst anerkennenswert!), namentlich sind die lateinischen Kirchenlieder reizend übersetzt, z. B.: Zu meiden ist, zu scheiden ist, pkn-eu<wm c-^t, eeclendum est,
Es fällt der Vorhang nieder, Olnud^Ig, vilae semm,
Der Würfel sinkt, der Tod mir winkt, Ksl. jnelir sm-8, mo vocrrt mors,
DaS Leben kehrt nicht wieder! Iweo Iiora est, supremÄ,!
Ade, mein Thnn, mein .^ssen »um! V^Iot« ios, vlrlet« spcs,
So enden Lust und Lieder. — 8ie ünlt eunMena.
Herr Drevcs hat schon früher eine Reihe ähnlicher Übersetzungen „Lieder der Kirche" bei. Hurter in Schaffhansen erscheinen lassen. Es ist viel Poesie in diesem Kirchenlatein, wenn man auch zuweilen durch alberne Wortspiele, wie dieses, beleidigt wird:
Oougi «Fkrvit Oeus a<ma,!Z, kd-roi-o spiritu almU,a8, Ll> vvckvil, mkcrii»,, I5g-<> iumlrs LlUiäln'um (5»nA-i eF-rl)o Inor^marum Kl. vvcnkc) Narimu; 0 N-nia,
LompLi- cluleis, «empor pia! —