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Englische Novellisten. I. : Charles Dickens.
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nicht den heitern Ton und die Durchsichtigkeit, die diesen auszeichnet; dagegen ist das große Talent uusers Dichters, das Seelenlose zn beleben, schon in vollem Maße entfaltet. Die deutschen Dichter versuchen es meistens mit der eigentlichen Natur; Jeau Paul z. B. ist unermüdlich, Wieseu, Bäume, Sonnenschein und Regen durch lebhaftes Empfinden in Bewegung zn setzen und zu vergeistigen. Die Engländer beschäftigen sich lieber mit historischen Loealitäten, denen der Mensch, wenn er auch uoch so verkümmert,' sein Siegel aufgeprägt hat. Abge­legene Schiffswerften, verfallene Wirthshäuser, kleine dürstige Städte mit engen Straßen uud schiefeu Häusern u. s. w. gewinnen bei Dickens eine so individuelle Physiognomie, daß sie uns anheimeln. Dickens macht es anders als Walter Scott, der auch dariu iu seiner Weise unnachahmlich ist; dieser gibt nns eine so detaillirte und correcte Beschreibung, daß wir nöthigenfälls den Schauplatz der Begebeuheiteu selbst zu construiren im Stande wären. Dickens ist nicht so correct; zuweilen widerspricht er sich geradezu in seineil einzelnen Angaben, weil er sub- jectiv zu Werke geht und nach seinen jedesmaligen Bedürfnissen mit souveräner Willkür über die gegebenen Voraussetzungen verfügt; Vieles läßt er unbestimmt, und es scheint bei ihm stets ein romantisches Lampenlicht, welches einzelne Gegen­stände scharf hervortreten, Anderes verschwinden 'läßt. Dagegen weiß er, wie der gute Landschaftsmaler, die Stimmung seiner Landschaft so energisch herauszutreiben, er läßt uns die einzelne Anschauung so deutlich und plastisch erleben, daß 'wir nns sofort zu Hause finden. Zuweilen wird diese Plastik phantastisch uud mamerirt, wie es mit den Führern ans Bergreisen der Fall zu sein pflegt, die sich-gerne auf künstliche Vergleiche forciren, aber ist doch immer Natur darin, lind der Eindruck, den er hervorbringen will, prägt sich um so schärfer ans.

Sein Pickwick hat es mehr init den Menschen zu thun. Es ist iZine so heitre und derbe Darstellung des englischen Volks, daß kaum ein anderes Buch damit wetteisern dürfte. Dickens 'hat 'darin einen großen Vorzug vor Walter Scott, der es doch meistens mit Schotten zu thun hat. Die Schotten haben viel Anlage zur Nomantik uud daneben auch , viel Verstaub, aber die Eigen­schaft, welche die glücklichen Sohne Albions vorzüglich auszeichnet, geht ihnen ganz ab : Gemüthlichkeit. Wir-'KHvfch'en> bei'denen der Begriff der Gemüth-, lichkeit gewöhnlich mit Weichheit, Sentimentalität uud Träumerei zusammenfällt, können uns gar nicht vorstellen, wie ein so determinirtes Und egoistisches Volk gemüthlich sein kann; aber Figuren, >wie Pickwick selbst, Sam Weller und sein Vater, der lustige Kutscher,- dürfen uns eines Bessern belehveU. Drollig und doch von gesundem Menschenverstand, nich't sehr geneigt, in 'Ekstase zu gerathen, und doch treu und gutmüthfg; voll liebenswürdiger Gefälligkeit, uud doch -unter Um­ständen fest entschlossen bis zum Starrsinu, das sind die Zdeale des englischen Lebens, die auch die unsrigen sein könnten. Noch viel günstiger stellt sich-das Verhältniß des Engländers zn dem Iren heraus; die irländischen Dichter schildern