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Wochenschau.
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Damen ein Dilettantenconcert im Casinosaale, wo Fräulein Semscy und Kubinyi auf dem Piano, Frau Orzovenszky auf der Harfe vor einem gewählten und zahlreichen Publicum ungarische Weisen producirten; Fräulein Masburg sang ans Lucrccia Borgia, und Fräulein Friedvalszky trug das schöne Lied ,M s'vilüg" Diese Welt von B. Egrcßy unter endlosem Applaus vor. Die Einnahme muß eine bedeutende gewesen sein, sie war für die Armen bestimmt. In demselben Saale werden im Laufe des Carnevals mehrere Bälle des Frauenvereins stattfinden.

Als Schoßkind unserer Nationalität ungefähr wie die Waise eines verstorbenen theuren Freundes wird von uns das Nationaltheater betrachtet, nnd die Direktion scheut weder Mühe noch Opfer, um diese einzige schöne Frucht aus der Blüthenzeit unseres nationalen Aufschwungs zu pflegen. Im verflossenen Jahre sind außer einigen Originaldramen von Szigligety und Anderen auch mehrere neue Opern, darunter der ,,Prophet" und ,,Vanda" (von dem Orchcstermitgliede: Doppler), neben Uebersetzuugcn aus dem Deutschen, Französischen und Englischen zur Aufführung gekom­men. Den Mangel einer cngagirten Primadonna ersetzte Madame Lagrange durch 16 Wochen, jetzt ist die frühere, ungarische Primadonna, Fräulein Hollösy, welche eine Zeit lang in St. Petersburg die Helden von Vilugos durch ihre Magyarische Kehle entzückte, wieder für unser Institut gewonnen, was hier unter den Hollüsycnthusiasten großen Jubel verursacht. Das Theater ist der einzige gemeinsame Zufluchtsort für unsere nationalen Seufzer; die leiseste Anspielung auf unsere Zustände schlägt an die gespannten Saiten unseres Herzens, eine Thräne erleichtert die beengte Brust, und während die Hand dem Darsteller Beifall zuklatscht, überströmt das Herz von heiligen Gelübden und frommen Wünschen für das bedrängte Vaterland. Sie werden mich einen Schwärmer nennen; aber kommen Sie nach Ungarn, leben Sie mit unserem Volke, werden Sie selbst ein Ungar, und ich will sie einen Gott oder einen Stein nennen, wenn Sie nicht selbst zum Schwärmer werden. Ihr Deutschen seid in neuerer Zeit durch die Idee der Einigkeit auch auf die Nationalität geleitet worden, aber ihr bildet eine Nation von >40 Millionen Menschen und bewohut fast ausschließlich und unbe­stritten Euer Territorium; wir sind ein zusammengedrängter Tropfen in ein Meer von feindlichen Elementen geschleudert. Ferner trinkt ihr Bier und esset viel Pökelfleisch; ersteres macht schweres, letzteres wässeriges Blut, wie die Aerzte sagen. Wir trinken Wein und essen Gulyasfleisch; unsere Sonne brennt heißer^ und das Blut fließt schneller in unserer orientalischen Nace., Die Nationalität ist der Paprikapfeffer unserer geistigen Menage. Die Geschichte mag richten, wie unser nationaler Eifer im Vormärz zu Uebergriffen und Verkehrtheiten Anlaß gab; aber jetzt ist uns die Natio­nalität zur Religion geworden, ein heiliger Glaube der Väter, gereinigt durch die Leiden der Gegenwart. Es gibt dafür Kennzeichen. Früher erhoben wir wohl anch die Mittelmäßigkeit zum Himmel, wenn sie sich nur auf unserem nationalen Boden bewegte; jetzt grollen wir unsern Künstlern, wenn sie mit dem Staube der Gemeinheit an den Füßen den Raum unseres nationalen Tempels zu betreten wagen, und die Kritik ist nicht mehr eine höfliche Salondame, sondern die rächende Göttin der Nationalität. Ein Beispiel aus der uächsten Vergangenheit möge als Beleg dienen. Vor einigen Tagen wurde ein neues VolksstückKvt Sobri" die beiden Sobri von dem beliebten uud um die ungarische Musik wahrhaft verdienten Volksmufikdichter Benjamin Egressy zum ersten Male gegeben; das Publicum der Galerien brachte dem Verfasser pflicht-

Grcnzbotcn. I. 1851. 20