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konferenz verursacht haben. Auch England hatte also ein Recht, sich Frankreich gegenüber als Sieger zu fühlen, und Lloyd George wußte das natürlich sehr Wohl. Es erschien ihm der psychologische Moment, den ersten Teil der von einem zwingenden und fruchtbaren Gedanken herbeigeführten Aera der Konferenzen abzuschließen, indem die Konferenz Genua verläßt und nach kurzer Unterbrechung auf einer scheinbar neuen Grundlage weiterbaut.
Freilich geht eine unter den Politikern sehr stark vertretene Richtung dahin, die stille Wirkung dieses treibenden Gedankens, der immer entschiedener auf eine Wiederholung und Fortsetzung internationaler Wirtschaftskonferenzen führen muß, ziemlich gering einzuschätzen. Mau weist darauf hin, daß England vor der militärischen Ueberlegenheit Frankreichs im entscheidenden Augenblick immer wieder zurückweiche» werde, wie Lloyd George es ja auch jetzt wieder getan habe. Das ist auch keineswegs unrichtig. Aber auch der militärisch mächtigste und leistungsfähigste Staat darf sich nicht ohne schwere Gefahr isolieren lassen, es sei denn, daß er wirtschaftlich entsprechend stark dasteht und die moralische Unterstützung durch das gleichgestimmte Rechtsgefühl anderer genießt. In -däeser Beziehung ist jedoch Frankreichs Stellung bei aller seiner Ueberlegenheit an Truppenzahl uud Kriegsmaterial in bezug auf wirtschaftliche Kraft und Bundesgenossen nicht mehr so stark wie früher. Auch Staaten, die früher die allgemeine Lage gern unter dem Gesichtspunkt beurteilten, daß sie zwischen Frankreich und Deutschland zu wählen hätten, und sich dann für ersteres erklärten, haben jetzt erkannt, daß die Frage ganz anders zu stellen ist. Sie haben sich in Wahrheit zu entscheiden, ob' sie sich in der politischen Gefolgschaft Frankreichs wirtschaftlich zugrunde richten lafsen oder ob sie ohne Rücksicht auf politische Leidenschaften durch Benutzung der natürlichen und gegebenen Verbindungen mit ihren Nachbarländern ihre Existenz retten sollen.
Deshalb ist sogar in der sogenannten „Kleinen Entente" die Stimmung schwankend und geteilt geworden, vielleicht mit Ausnahme von Polen, das infolge der besonderen Charaktereigentümlichkeit des polnischen Volkes noch so sehr fanatisiert ist und unter dem Bann der französischen Suggestion gehalten wird, daß die vernünftigen Leute im Lande, deren Zahl großer ist, als man ahnt, nicht wagen dürfen, sich zu rühren oder gar ihre Stimme hören zu lassen. Die zwischen Deutschland und Rußland liegenden neuentstandenen Staaten, die sich in der „Kleinen Entente" zu einer politischen Interessengemeinschaft verbunden haben, — es gehören ja dazu die ehemals russischen „Randstaaten", sowie ein Teil der „Nachfolgestaaten" der ehemaligen habsburgifchen Monarchie — hatten sich aus wesentlich politischen Gründen der Führung Frankreichs anvertraut, weil diese ihnen die Möglichkeit gab, in einem Gegensatz gegen das «fürchtete und gehaßte Deutschland zu verharren, wozu das Vorurteil und die kindische Leidenschaft dieser politisch unreifen Nationen drängt. Ihr Verhängnis ist, daß die soliden Grundlagen jeder gefunden Politik, nämlich die durch die Natur und geographische Lage des Landes gegebenen wirtschaftlichen Richtlinien, sie von vechtswegen in das entgegengesetzte politische Lager, nämlich an die Seite Deutschlands sühren müßten. Sie sperren sich gegen ihr eigenes Heil und verfolgeu aus Gefühlsrücksichten eine Politik, die sie wirtschaftlich ruinieren muß. Denn Frankreich benutzt zwar diese Staaten als Werkzeuge seiner Rache- und Gewaltpolitik und stellt ihnen in Gestalt von militä-