— 47 —
Denkwürdigkeiten zur Zeit unserer Urgroßväter ganz Deutschland gerührt. Heute haben wir andere Sargen, und es ist eigentlich nicht ^gauz einzusehen, weshalb die knapve Zeit des modernen Büchlerlesers an solche Ausgrabungen gewendet werden soll.
Elisa von der Recke, Herzensgqchichten einer baltischen Edelfrau. Erinnerungen und Briefe. Erste Auflage. Stuttgart 1921, Robert Lutz. Geh. 20 M., geb. 28 M.
Dies erlebte Buch kann man nicht ohne tiefes Interesse und warme Teilnahme aus der Hand legen. Zugleich interessantes Sittenbild, gibt das Buch ein Seelengemälde. Es schildert das tragische Geschick einer mit holder Anmut und bestrickendem Liebreiz ausgestatteten schönen, zarten Seele. Das jslechzehn- bis siebenzehnjährige Kind wird von den ehrgeizigen Eltern cm einen Monn gegeben, der als guter aber derb-rohm Sinnenmensch mit dem holden Wesen nicht Ulinzugehen weiß und der es trotz feiner heftigen Lieble ganz von sich abstößt. Die von Liebessehnsucht erfüllte, von vielen, auch bedeutendem Männern (Hartmann, Hiltig usw.) sehnlich begehrte Frau ging trotzdem nach der Trennung von ihrem Gatten einsam ihren Lebensweg. Bemerkenswert ist m unserer für Schwärmgeister empfänglichen Zeit, daß Elisa v. d. Recke auch von dem berüchtigten Grafen Cagliostro zunächst angezogen wurde, daß sie ihn aber bald als Schwindler erkannte und zu seiner Entlarvung beitrug.
Heinrich Ullmann, DenkwüMgkeiiten des Hefsen-Darmstädtischen Staatsministers Freiherr du Thil, 1803—1848. Geh. 60 M., Halbleinen gebunden 72 M. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.
Der Name du Thil dürfte nur wenigen bekannt sein, selbst in semer engeren Heimat hört man ihn kaum, obwohl er beinahe ein halbes Jahrhundert leitender Minister in Hesfen-Darmstadt war. Das spricht an sich nicht für ihn. .Tpß er aber ein fcharsdenkender und klar blickender Politiker, ein tüchtiger Ver- wMungsbeamter und ein charaktervoller, origineller Mensch war, zeigen seine Denkwürdigkeiten. Sie dürften ein wichtiges Quellenwerk zur neuesten Geschichte sein. In ganz ungekünstelter, überaus frischer, persönlicher Art schildert du Thil die Jahre des endgültigen Unterganges des alten Heiligen Römischen Reiches, dcmu die des Rheinbundes, der Befreiungskriege; weiter, um nur einzelnes herauszugreifen, den Ueberganz in die neuen Staatsverhältnisse des Großherzogtums; die Wiener Konferenz 1819—20, die Entstehung des Zollvereins, an der du Thil entscheidenden Anteil hat; die inneren Kämpfe in Hessen, wo du THU, eigentlich ein letzter Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, eifersüchtig die Rechte der Krone dem Landtag gegenüber wahrte und, bei aller Vorurteilslosigkeit und praktischen Tüchtigkeit in wirtschaftlichen und Ver- waltungsfragen, mit rücksichtsloser Strenge den autoritären Standpunkt gegen alle liberalen und demokratisierenden Bestrebungen der Volksvertretung und der Volksabstimmung wahrte und so in den Ruf eines der härtesten Vorkämpfer der Reaktion kam.
Tagebücher von Friedrich von Gentz (1829—1831). Herausgegeben von August Fournier und Arnold Winkler. AmMhea-Verlag, Zürich, Leipzig, Wien.
Von den Tagebüchern des ursprünglich großen Publizisten und zuletzt mondänen Wiener Weltspieglers waren die feiner letzten Lebensjahre noch unbekannt. Wiener Historiker geben sie heraus. Frauen, Jntrigen, Politik. Gesellschaft, ein Herbarium von einst lebendigen, hier getrockneten Tagesblüten eines Lebenskünstlers, der aber schon stark auf der absteigenden Linie lebt.