Die Grenzboten
Politik, Literatur und Kunst
8^. Jahrg., 25. März 5922 Nummer ^2
Geleitwort
Vom Schriftleiter
Weil das deutsche Volk innerlich zerrissener cils vor dem Kriege aus ihm hervorging, ist dies Sonderheft „Das Kriegserlebnis" zusammengestellt worden. Die politischen Parteien haben lange genug die Worte „Volksgemeinschaft" oder „Nationale Einheitsfront" gebraucht und versucht, diese auf parlamentarischem, ans äußerlichein Wege herzustellen. Weil wir das Scheitern dieses Versuches erlebten, weil wir sahen, daß zum mindesten die unabhängig-sozialistische und kommunistische Partei die Weltanschauung über das Vaterland stellten, weil Crispien auf dem Halleschen Parteitag der Unabhängigen sprach: „Wir kennen kein Vaterland, das Deutschland heißt!'', darum erscheint dies Sonderheft.
Mitglieder aller Parteien von der dentschvölkischen bis zur kommunistischen Arbeiterpartei haben geschrieben. Alle die, welche das Erlebnis des Todes gemeinsam haben und denen das Kriegserlebnis etwas so Großes und Tiefes ist, daß es sogar vermag, Widerstände der Parteidoktrin zu überwinden, die nur gestattet, iu Parteiorganen zu schreiben. Das Erleben des Todes hat eine unsichtbare Bruderfront von Mensch zn Mensch geschaffen, die vielleicht noch einmal sichtbar wird. Keine Partei darf das Kriegserlebnis für sich allein in Anspruch nehmen. Das auszuschließen, bauen die „Grenzboten" heute einen Damm.
So wie wir keinen Artikel „bestellt" haben, sondern jeden gebeten haben, innerstes Erlebnis zu schreiben, was befolgt wurde, wie die große Zahl der Pseudonyme beweist, hal'en wir uns auch in der Reihenfolge nicht an ein Schema gebunden. Das Kriegserlebnis der Kriegsjugend ist vorerst, drei Jahre nach dem Kriege, zu dem wir kein Distanz haben, noch chaotisch. Dafür ist die Artikelreihe typisch.
Zur umfassenden Darstellung des „Kriegserlebnisses" würde ein Buch nötig sein. Als Gegenstück zu dem Kriegserlebnis der Jugend gälte es das Kriegserlebms der Alten aufzuzeigen, derjenigen Generation, die noch gegen Lebensende und nach dreißigjähriger Friedenszeit in voller Manneskraft und Reife in den Krieg zog und ihn naturgemäß anders erlebte als die Jugend. Das Kriegserlebnis der Kriegsgefangenen, der Frauen und der Heimatarmee in Feldgrau und Arbeitsrock dürfte nicht vergessen werden! Dies alles — tendenzlos — würde die tiefe Einwirkung des Krieges auf jeden einzelnen Menschen erweisen,
Denen aber, die hier den Mut gefunden haben, Dinge zu schreiben, von denen sie selber wissen, daß sie noch nicht ausgereist sind, auch nicht ausgereift sein können, danken wir. Schlimm wäre es, wenn sie aus Angst, unter reifen Worten auch ein unreifes mitzusprechen, still sein wollten! Sind doch allen die Verse „Dank des Jünglings an den Krieg" von Joachim von der Goltz Erlebnis geworden:
„Ich danke dir auf meiner Seele Knien,
du Zauberer! Es lag die Welt in Grau,
du schlugst den Fels, Blut sprang und sieh, der Bau
der Erde klärt sich wachsend, Nebel fliehen."
Ärenzboten I 1S22