Goethes Liebe zu Minchen Herzliev
mit Goethes dichterischer Tätigkeit in mehr oder weniger enger Verbindung steht. Gemeinhin faßt man die Beziehung zwischen Goethes Liebeserlebnisseri und seiner künstlerischen Erzeugung so auf, daß man die aus jenen herfließende Begeisterung und Beseelung für die Ursache der dichterischen Tätigkeit hält. Die regelmäszige Wiederkehr dieser Zustände aber macht es wahrscheinlich, daß die Erregung das erste war, daß sie erst den Boden für das Liebeserlebnis abgab, während dieselbe Frau, die jetzt sein Gefühl erregte, zu einer anderen Zeit wohl gar nicht auf ihn gewirkt hätte. Ulrike v. Levetzow war, soviel wir wissen, die letzte Frau, die Goethe in Liebesleidenschaft versetzte; dieS geschah im Jahre 18W/W. Gehen wir um etwa sieben Jahre zurück, so befinden wir uns in den Suleika-Jahren 1814/16, denen wir die wunderbaren Schöpfungen des Divan verdanken. Wieder sieben Jahre zurück, und wir gelangen zu der Zeit der Liebe zu Minchen Herzlieb. Wenn demnach Möbius recht hat, so war mit den Jahren 1807/8 eine Zeit gekommen, Wo Goethe kraft des sich regelmäßig einstellenden Zustandes seelischer Erregung wieder einmal reif zur Liebe war. Falls man also daran Anstoß nehmen möchte, daß die geistigen Eigenschaften Minchen Herzliebs keineswegs ausreichend waren, Goethes Anteilnahme zu fesseln, so mag eine Erklärung dafür in dem Gedanken gefunden werden, daß Goethe den Gegenstand seiner Liebe gar nicht in dem Maße ausgewählt, aus der Menge herausgehoben habe, wie wir uns dies sonst wohl vorstellen möchten. Man muß zugeben, daß die Annahme von Möbius, die hier nur andeutungsweise dargestellt werden konnte, etwas Überzeugendes hat. Vor allem würde sie erklären, daß Goethe, dem doch Minchen Herzlieb nicht zum ersten Male entgegentrat, mit so stürmischer Plötzlichkeit von seiner Liebe ergriffen wurde.
Durch diese Liebe angeregt, entstand Ende 1807 und Anfang 1808 ein Kranz von siebzehn Sonetten. Wenn nun diese Gedichte Goethes Liebe ihre Entstehung verdanken, so scheint die Frage nach des Dichters Verhältnis zu Minchen Herzlieb keine Schwierigkeiten zu machen. Man braucht, so möchte man meinen, sich nur in diese Sonette zu vertiefen, um ein lebendiges Bild von Goethes Liebe zu erhalten, so wie etwa „Willkommen und Abschied" die Liebe des Jünglings Goethe zu Friederike Brion widerspiegelt. Aber gerade in diesem Punkte ist ein gewaltiger Unterschied zu erkennen. In jenem Jngendgedichte — das fühlt man einfach ist jedes Wort der heißen Leidenschaft des jungen Goethe zu der lieblichen Friederike unmittelbar eniquollen, es ist ein echtes Liebesgedicht. In diesen: engeren Sinne können die Sonette nicht als Liebesgedichts gelten.
Der Großherzog Karl August hat einmal zum Kanzler von Müller gesagt: „Goethe habe stets zn viel in die Weiber gelegt, seine Ideen in ihnen geliebt." Es soll hier nicht untersucht werden, wie stark sich dies in anderen Lieb^serleb- nissen Goethes bemerkbar macht, in seinem Verhältnisse zu Minchen Herzlieb wirkt sich diese Eigenschaft GoeiheS in noch viel stärkerem Maße aus, als jene Worte sagen wollen. Goethe hat sich in diesem Falle von Anfang an — so stellen sich mir die Dinge dar — mit seinen Gefühlen von dem leibhaftigen Gegenstande seiner Liebe enifernt, er hat an seiner Liebe gedichtet, er hat sie nach seinen menschlichen und noch mehr nach seinen künstlerischen Bedürfnissen gestaltet. Das wirkliche Erlebnis war ihm nur Anregung, war ihm nur die Pforte für seiu künstlerisches Erlebnis. Es soll nicht behauptet werden, der leibliche Gegenstand der Gedichte sei ihm gleichgültig gewesen. Der Meinung Kuno Fischers, er habe für Minchen Herzlieb nichts als ein an Liebe grenzendes Wohlwollen empfunden, kann man nicht beipflichten. Wir können nicht umhin, uns in dieser Frage vor allem an Goethes eigenes Zeugnis Zu halten. Am 6. November 1812 schreibt Goethe an seine Frau: „Gestern Abend Habs ich auch Minchen wieder gesehen ... An Gestalt und Betragen usw, aber immer noch so hübsch und so artig, daß ich mir garnicht übelnehme, sie einmal mehr als billig geliebt zu haben." Und mit fast denselben Worten legt er am 15. Januar 1813 seinem Freunde Zelter gegenüber ein Bekenntnis seiner Liebe ab. Noch einmal spricht er, diesmal nur von fern
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