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Berliner Bühne
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Berliner

Von Art»

Über zwei Ausführungen ist diesmal zu berichten, die um so tiefer enttäuscht haben, je länger und gespannter sie erwartet worden waren: dieFaust"-Aufführung im Lessing- Theater und derDon Carlos" im Staat­lichen Schauspielhause. Beide waren Kinder einer in heißem Werben errungenen Liebe; aber beide kamen verkrüppelt zur Welt. Beide Aufführungen sind dabei in Anlage und Ausführung so gegensätzlich, daß sie geradezu als polare Repräsentanten der heute miteinander ringenden Bestrebungen um die Erneuerung der Theaterkunst er­scheinen. DerFaust"-Versuch Barnowskys ist ein letztes Sichaufbäumen des Natura­lismus gegen den Strom der künstlerischen Entwicklung, der er innerlich längst erlogen ist. JeKners Inszenierung desDon Carlos" ober enthüllt die ganze Unsicherheit des nach neuen Zielen drängenden, eine neue Formen­sprache suchenden Kunstwollens.

Der Weg jeder Kunst führt heute vom Imitativen zum Struktiven, vom Charakteri­sieren zum Ergründen, vom Psychologischen zum Dämonischen, vom Dynamischen zum Rhythmischen, von stimmungsgesättigter Lebensechtheit zu lebenstrunkener Mensch- tumserfassung. Die neue Schauspielkunst ist also ganz besonders von der schöpferischen Menschlichkeit ihrer Vertreter abhängig; und welche Anforderungen sie an diese stellt, hat sich daran gezeigt, wie viele von den jungen sich expressionistisch wild gebärdenden Schau­spielern in Manier erstarrt oder in Tri­vialität zurückgesunken sind.

Jeßner, in seinem dunklen Dränge, ist sich dieser Notwendigkeit Wohl bewußt. Für Aufführungen wieKönig Richard III." und Othello" hatte er die zureichende Persön­lichkeit in Kortner, und Kortner sollte auch den König Philipp imDon Carlos" darstellen. Die Vorstellung fand aus un­bekannten Gründen ohne Kortner statt. Aber auch mit ihm, scheint mir, hätte sie unzulänglich bleiben müssen. Denn das Drama heißtDon Carlos"; und nicht bloß, daß seine Wiedergabe in erster Linie von dem Darsteller des Jnfcmten abhängt, um die Gestalt und das Wesen des Jnfanten muß auch die ganze Aufführung aufgebaut, vom Geist dieser Figur und dem Geist seines Gegenspielers, des Marquis von Posa, der zugleich der Geist des Werkes ist, die Auf­führung durchdrungen und getragen sein. Bei Jeßner war aus dem dramatischen Ge­dichtDon Carlos, Jnfant von Spanien,, die TragödiePhilipp, König von Spanien"

Bühne

r Michel

geworden. Das hätte sich vielleicht, als einmaliges Wagnis, durch einen überragenden Darsteller des Königs rechtfertigen lassen. Da dieser fehlte, wirkte das Ganze fast wie die Trümmerstätte einer toten Burgenstadt antiker Riesenmenschen.

Das flüssige Erz dieses jugendlich feu­rigen Werks war zu starrem Metall erkaltet. Die knabenhaft hitzige Uberschwenglichkeit der Dialoge war gedämpft, gebändigt; und der Eindruck entstand, als ob all die leiden­schaftlichen Auseinandersetzungen, die zu Himmel und Hölle emporrasenden Aus­brüche in zeremonielle Gespräche, feierliche Ansprachen umgedichtet seien. Um die Welt König Philipps zu stärken, war auch der Marquis von Posa ihrer strengen Feierlich­keit beigeordnet, in sie künstlerisch hinein­komponiert worden, er, der doch Abgeordneter der ganzen Menschheit, Bürger milderer, menschlicherer Jahrhunderte sein soll.

So stand Don Carlos völlig allein; und als einziger in ständiger Ruhelosigkeit, konnte auch ein so begabter Schauspieler wie Lothar Müthel nicht hindern, daß er in dieser menschlich und bildlich starren Umwelt substanziell unruhig, zapplig, formlos wirkte.

Der räumlichen Gestaltung der Auf­führung fehlte das Bemühen um innere Gesetzlichkeit, das beimOthello" wahr­zunehmen war. Es fehlte der neuen In­szenierung die Einfachheit, die Geradlinig­keit, die Einheitlichkeit und Sicherheit der früheren. Man hatte sich die Aufgabe ge­stellt, die starre Pracht, die barocke Steifheit, die eisige Lebensfremdheit, die man der Welt Philipps, über Schiller hinaus dichtend, zuschrieb, in pathetischer Raumgestaltung zu spiegeln. Aber sonderbar: das Pathos und die Raumgestaltung waren nicht verbunden, entfalteten sich nicht eins aus dem andern, sondern übersteigerten einander oder gingen nebeneinander her, oder verloren einander gar zeitweise aus den Augen. So war der dreiteilige goldgeschiente Treppenaufbau des ersten und einiger anderer Bilder maßlos übergrößert; die wenigen Male, wo Marquis Posa seine feierliche Ruhe widerstnnigerweise verlor, waren, wenn er aus unendlicher Ferne im Laufschritt über diese pathetische Treppenanlage hasten mußte. In anderen Szenen wirkten die mächtigen, barock ge­wundenen Goldsäulen als Fremdkörper in tektonisch ganz unbarock durchempfundenen Räumlichkeiten. Auch die in mehreren Szenen angebrachten barocken Architekturschnörkel blieben unorganische Teilstücke. Nur in ganz

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