Die Ausbreitung des deutschen Volkes
Wanderer wurzelt an der neuen Arbeitsstätte fest, dient dort zum Teil wohl noch eine Zeitlang dem deutschen Außenhandel als Stützpunkt; noch mehr aber dient er dem neuen Vaterlande, sich selbständig zu machen und die Methoden deutscher Wirtschaft und Technik sich anzueignen.
In Südamerika erhielt sich der deutsche Urwaldpionier, wenn auch nicht seinem Vaterlande, so doch dem Deutschtum, ähnlich wie in Rußland, und noch günstiger, weil hier eine Feindschaft des Adoptivvaterlandes gegen die alte deutsche Heimat nicht drohte. Die Massenauswanderung Deutscher nach Brasilien wurde aber 1859 durch das von der Heydtsche Reskript gehemmt. Es war eine echt deutsche, unpolitisch fürsorgliche Maßregel. Man glaubte im damaligen Deutschland, daß für das individuelle Fortkommen der auswandernden LandeSkinder in Nordamerika besser gesorgt sei als in Brasilien, und deshalb lenkte man den Auswandererstrom in das angelsächsische Bett! Ohne Rücksicht aus das endliche Schicksal Deutschlands und des Deutschtums behütete man nur die Individuen, die Deutschland auf seine Kosten großgezogen und mit den Gaben der Kultur und Arbeitsamkeit ausgestattet hatte, um sie als fertige Kräfte (die Regsamsten, Tüchtigsten wanderten aus I) fremden, ja in Zukunft feindlichen Völkern zu deren Entwicklung zu schenken. Der deutsche Einwanderer ist überall als hochwertige Arbeitskraft, als wirtschaftliches Aktivum willkommen; er wird von den Eingesessenen freilich auch beneidet und verfolgt wegen seines raschen Vorankommens, aber da er sich bereitwillig mit geringer staatlicher Selbstbehauptungskraft (die ihm das Mutterland nicht mitgeben konnte) in das neue Land einfügt, wird er keinem Land dauernd zur Last; manchen, wie zum Beispiel Rumänien, das trotz französischem Firnis ohne Deutsche niemals ein Staat geworden wäre, der sogar mit Deutschland Krieg führen konnte, brachten wir die entscheidenden Lehren zur Kultur, ohne daß freilich irgendwo Dankbarkeit dem deutschen Schulmeister lohnte.
Noch zehn Jahre, nachdem Bismarck das Deutsche Reich gegründet hatte, wanderten 200 000 Deutsche jährlich allein nach den Vereinigten Staaten ab. Dann aber begann sich in» geeinten, mächtigen, durch Bismarcks Schutzpolitik geschützten Vaterland die Industrie zu entwickeln, welche endlich den Volksüberschuß einbehalten konnte. An Stelle der Auswanderung in fremde Länder wuchs von Jahr zu Jahr die Abwanderung vom Land in die Großstadt, von der Landwirtschaft in die Fabrik, und Deutschland begann Waren zu exportieren statt Menschen. Vor dem Weltkrieg nahm Deutschland alljährlich fast um eine Million Menschen zu, und diese wachsende Bevölkerung bedeutete keine Verlegenheit, sondern einen Reichtum. Allerdings brachte das atemraubend rasche Anschwellen großstädtischer Bevölkerung kulturelle und politische Gefahren; es machte uns auch durch die Möglichkeit des Hungerkrieges strategisch noch verwundbarer, als Mitteleuropa ohnedies ist. Aber wir wurden unter dem Schutz des endlich errungenen Staates eine wirtschaftliche Weltmacht. Der Anlauf der Hanse wurde ein zweites Mal begonnen, und diesmal durch ein einiges Volk. Freilich war die Erde in der Haupsache schon unter die älteren Weltmächte aufgeteilt, aber wir gewannen noch in Afrika und in Australien Rohstoffkolonien, zum Teil auch Siedlerland, das allein in Deutschostafrika etwa 10 Millionen Deutschen Kolonistenmöglichkeit bieten konnte, falls einmal wieder eine stärkere Auswanderung ein-
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