Erich Köhrer
Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Forderungen, die Durchführung des Reparationsprogrammes, selbst unmöglich macht. Nach einer Berechnung aus französischen, also gewiß nicht deutschfreundlichen, Quellen hat Deutschland bis September 1921 volle 120 Milliarden Mark für die Besatzungs- kosten aufzubringen. Das bedeutet für jeden Deutschen, ob Mann, ob Weib, ob Säugling, ob Invalide, eine Blutsteuer von jährlich 1000 Mark in den verflossenen Besetzungsjahren allein für diesen unproduktiven und Produktion hemmenden ZweckI Wenn diese Milliarden der Reparation dienstbar geinacht würden, wäre selbstverständlich den Interessen und den wahren Bedürfnissen der Entente (von der Welt ganz abgesehen I) mehr geholfen, als mit der Weiterführung der Besatzungsdummheit, des Besatzungsverbrechens.
Sie ist ein Verbrechen nicht nur an der besetzten Provinz, nicht nur an Deutschland, sondern an der gesamten, schwerkranken Weltwirtschaft. Denn wenn die Aufhebung der Besetzung zunächst die Milliarden für ihre Kosten frei geben würde, so würde sie außerdem für die rheinische Wirtschaft wieder Luft und Licht frei machen und es ihr ermöglichen, den alten Platz im Gebiet schaffender Arbeit wieder einzunehmen. Die natürlichen Möglichkeiten und die Qualitäten des Menschenmaterials find ja gerade im Rheinland so außerordentlich groß, daß die ungeschwächte, ungehemmte Mitarbeit des Rheinlandes an dem Wiederaufbau der Welt für die Weltwirtschaft höchste Bedeutung haben wird.
In der erwähnten Broschüre habe ich schon vor vier Monaten gesagt: „Die Entente wird über kurz oder lang vor die Frage gestellt sein, ob sie dem Haß der Franzosen eine blühende Provinz opfern, die gewaltigen Schaffensmöglich- teiten der Provinz zusammenbrechen lassen will, oder ob sie unter Verzicht auf den äußerlichen Glanz, die „Zloirs", der Besetzung mit Truppen diese Möglichkeiten im eigensten Interesse aller Zugehörigen des Feindverbandes wieder zur freien und ungehemmten Entwicklung kommen lassen will." Wie die Erörterung des Besetzungsproblems in der eingangs angedeuteten Tonart zeigt, ist meine Voraussage schnell genug in Erfüllung gegangen. Der Ruf nach Befreiung von den moralischen und materiellen Lasten der Besetzung ist Gemeingut aller Rheinländer ohne Unterschied der innerpolitischen Stellung geworden, darüber hinaus aber auch in die Ohren europäisch denkender Gegner gedrungen. Man hat durch die Teilung Oberschlesiens Deutschland wertvollster Grundlagen für die Erfüllung seiner Reparationspflichten beraubt. Wenn die rheinische Wirtschaft nicht bald wird frei atmen und schaffen können, wird auch sie aus den Aktivposten gestrichen werden müssen, von denen der Feindverband die Begleichung der deutschen Schuld erwartet. Darum ist die Frage der Besetzung des Nheingebietes längst keine rheinische mehr und keine deutsche, sondern eine europäische, eine weltpolitische. Ihre einzig mögliche Lösung kann nur in der Aufhebung der Besetzung — oder mindestens in einer grundlegenden Umgestaltung — gegeben werden.
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