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Das Koalitionsproblem
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Dr. Alphons Nobel

Schaukelsystem (Regierungspartei Opposition und wieder Regierungspartei und so fort in fast regelmäßigem Turnus) beruhte das ungeschriebene Staatsrecht des englischen Parlamentarismus.

Und nun in der Nachkriegszeit: die von den ungeheuersten politischen, wirt­schaftlichen und kulturellen Probleinen belastete Politik aller europäischen Länder trieb die im englischen Zweiparteiensystem ausgesprochene Tendenz noch weiter. Die Parteien, oder vielmehr die Gruppe der Parteien, die sich als Teil empfinden und das Dasein der anderen Teile nicht ignorieren, werden dazu getrieben, aus dieser Erkenntnis eine weitere (vielleicht nicht die letzte) Konsequenz zuziehen: das Zusammenarbeiten mit anderen Teilen. Das englische Zweiparteiensystem war auch ein Zusammenarbeiten, aber auf lange Sicht hin, in der stillschweigenden Vereinbarung, einander ablösend die Last des Staates zu tragen. Heut aber ist kein einziges der innerpolitischen Gerüste Europas mehr elastisch genug dazu. So liegt das gleichzeitige Zusammenarbeiten mehrerer Parteien als Norm der europäischen Innenpolitik in der Logik der Entwicklung.

Diese Zusammenarbeit aber ist die Koalition. Kabinette bilden sich nicht mehr aus einer Partei heraus, sondern sind schon in ihrem Entstehen Kom­promisse, das heiszt Ergebnisse der Zusammenarbeit mehrerer Parteien der be- treffenden Parlamente. Diese Parteien verpflichten sich durch diesen Kompromiß, gemeinsam und solidarisch die Politik des Kabinetts zu tragen. Diese Koalitions­politik ist zweifellos mehr als blosze Taktik, schließt sie doch immer irgendwie ein Aufgeben gewisser Programmpunkte in sich. Die Koalition in Deutschland, ihre Entstehung, ihre Ausbreitungs- und Abbröckelungstendenzen brauchen hier nicht auseinandergesetzt zu werden. Interessanter dürfte für uns ein Blick auf das übrige Europa sein.

Gerade eben hat Poincare in Frankreich versucht, eine große Koalition aller Kammergruppen von rechts bis zu den Radikalsozialisten einschließlich zu­stande zu bringen. Bekanntlich ist ihm das nicht gelungen, weil die Nadikal- sozialisten abgesagt haben. (Nadikalsozialisten ist eine bürgerliche Gruppe.) Immerhin geht sein Kabinett durch sehr viele Parlamentsgruppen hindurch, wenn auch noch nicht zu sehen ist, ob der alte Nationalblock so geschlossen, wie er von 1918 bis 1921 war, hergestellt ist. Er begann im Frühjahr 1921 auseinander zu bröckeln, in dem die äußerste Rechte (Löon Daudet) nicht zuletzt infolge der Treibereien Poincares sich abwandte. Gehört diese chauvinistische Rechte doch zu jener Parteigattung, die wir diesich isolierende" nannten. Aus ihrer Tendenz heraus, das Frankreich darzustellen und alle anderen als Verräter der Sache Frank­reichs zu brandmarken. Solche Parteien lassen sich natürlich ebenso schwer wie die Kommunisten zur Koalition, das heißt zum Kompromiß und zur Zusammenarbeit mit den anderen Teilen des Volkes gewinnen. Denn auch die Kommunisten glauben, die Zukunft und die einzigsten Repräsentanten des wirklichen Volks- willcns zu sein.

Ahnlich ist die Koalitionsbildung auch in Italien vor sich gegangen. Hier hat sich aber, umgekehrt wie in Frankreich, die Tendenz zur Koalition immer