Hellmuth von Moltke
„Du kennst", erzählte Gustav weiter, „das schöne Plätzchen auf dem vorspringenden Felsen über der Elbe, von wo man die Dresdner Straße übersieht, wenn sie eine Viertelstunde unterhalb den Wald verläßt, welcher Eichenbach umgibt. O Ernst, sie war da! Am Ende der hohen Lindenallee stand sie im Golde der Morgensonne wie ein Wesen des Elementes, welches sie umfloß. — Ernst, so ein Anblick ist mehr, als alle Schwüre der Liebe! Sie war also doch ans gewesen, und jetzt war sie da, um mich zu sehen, obschon in einer Entfernung, gegen die kein Grcrndison etwas, ja ihr eigenes Zartgefühl nichts einwenden, konnte. Leise schlich ich heran, ganz nahe. Lange stand sie unbeweglich, nur Seufzer hoben ihren Busen, während der meinige vor Frende pochte. Endlich machte sie eine Bewegung mit der Hand, wie zum Lebewohl. Da hielt ich mich uicht länger. Ich sprang hervor und drückte sie in meine Arme. „Nein", schrie ich, „wir trennen nnS nicht ans ewig! Die Ehre rnft mich jetzt von hier; aber ich will sterben oder dich erkämpfen. Jda, nur einen Trost gib mir mit in das Getümmel der Schlachten, und eine Welt will ich bezwingen,' die Hoffnung, daß du mich liebst!" Ihr Auge war verweiut, sie schwieg vor Schrecken; aver ich drückte tausend Küsse auf ihre Lippen, ehe sie es hindern konnte. Da hörten wir Leute. Ich schwang mich auf die Mauer. „Jda!" rief ich, „wir sind verlobt; du sollst von mir hören!" Ich winkte ihr ein Lebewohl zu, sprang hinab, und in zehn Minuten war ich zurück bei den Truppen."
„Und Jda, nnd die Gräfin Eichenbach", fiel Ernst ein, „was antwortete sie dir?"
„Nichts!" eutgegnele Gustav. „Sie sagte nichts, weil ich alles sah."
„Nun, Gott erhalte dir deine gute Meinung von dir selbst! In der ganzen Erzählung hast dn ganz allein gehandelt, ganz allein gesprochen, und doch bist dn deiner Sache ganz gewiß. Möchtest du nur nicht auch ganz allein gesehen haben."
„Beim Himmel", eutgegucte Gustav, „was verlangst du mehr von Beweisen? Aber freilich, Lente deines Schlages, Leute, die nie tolle Streiche, aber auch nie kluge machen, Leute, deren Glaser stets noch voll sind, wenn wieder eingeschenkt wird, deren Freude wie das Auffliegen einer Pulvertonne ist, die nur desto dunklere Nacht zurückläßt, solche Leute glauben stets einein Worte mehr als einem Blick. Mag es sein, daß ihr euch nie tänscht; aber ihr kennt auch nicht die Wonne, die Seligkeit, sich vertrauensvoll hinzugeben. Nein zum Teufel! Dn sollst mich nicht irre machen. Gesteh' es nur, du bist selbst ein bißchen verliebt und eifersüchtig; aber sie liebt dich nicht, denn sonst könnte sie so nickst gegen mich seiu. Darum vermiedest du stets, mit mir über deinen Aufenthalt in
Eichenbach zu sprechen. Geh', Brüderchen, da bist du einmal zu spät gekommen. -.....
Gottlob denn, Ernst", fuhr der junge Mann mit feierlicher Stimme fort, „es wäre schrecklich gewesen, zwischen Freundschaft nnd Liebe zn wählen, loo ein Gefühl das andere vernichten müßte wie bei zweien Schiffbrüchigen, die nach einem Brett haschen. Jedes wäre um den Preis des andern zn teuer erkauft. Nein, beides oder die erste Kugel in dem nächsten Gefecht!"
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