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Der Musik-Chronist
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D e r M usik - Chro n i st

liefer und durchaus selbständiger Einfälle, daß in dieser Hinsicht sich nur sehr wenige nnchwagnerische Werke mit ihr messen können. Wie blüht sie z, B. auf bei manchen Ensemble stellen des eisten Aktes, wie kraftvoll und groß ist sie in der Szene des Prometheus und wie wundervoll Poetisch atmet sie im Nachtigallenruf des Nachspiels auSl Was man zudem immer wieder bewundert, das ist die architektonische Kraft Brauntels', wie sie sich in der Gestaltung der einzelnen Szenen und in ihrer gegenseitigen Aus- valanzierung offenbart. Gibt es schon im ersten Akt bei dem großen Chor- und Solisten- Ensemble der durch den Lockruf der Nachti­gall uud des Wiedehopfes herbeigeholten Vogelscharen eine Prächtige Steigerung, so ist der Aufbau des ganzen zweiten Aktes mit seinen Vogeltänzen, dem Auftritt des Prometheus, dem auch musikalisch Prachtvoll inisgemalien Gewitter und dem feierlichen Hymnns der Zeus huldigenden Vögel einfach meisterhaft zu nennen.

Die Aufführung der Staatsoper war sehr sorgfältig. Das Hauptverdienst daran hatte der Kapellmeister Fritz Stiedry, der sich mit hörbarer Liebe des Werkes angenommen hatie. Unter den Solisten ragte neben der Nachtigall Johanna Klemperers vor allem der stimmlich und schauspielerisch gleich groß­artige Prometheus Friedrich Schorrs hervor. Recht gut gelungen waren die ver­schiedenen Bogelmasken und Emil Pirchans szenische Ausstattung konnte sich sehen lassen.

Das eine aber ist sicher: Dieses aus dem Verlangen nach den unwirklichen Bezirken der Phantasie und den reinen Beglückungen der Kunst geborene Werk wird immer als eine der edelsten Leistungen zeitgenössischer Musik bestehen bleiben, und die Art, wie man es aufnimmt, wird ein Gradmesser sein, nicht für seinen Wert, sondern für die Reife des Publikums.

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Was sich im Konzertleben zutrug, war nicht sonderlich interessant. Solange sich unsere Dirigenten und Solisten nicht auf ihre Pflicht besinnen, gerade dem Neuen und Unbekannten Geltung zu verschaffen, muß

man immer wieder feststellen, daß wenigstens neunzig Prozent der veranstalteten Konzerte gänzlich überflüssig sind. Hat es z. B. einen Sinn, zum tausendsten Male zu erzählen, daß Nikisch die Werke von Beethoven, Brahms, Smetana oder Bruckner wieder einmal besonders schön aufgeführt hat? Wir wissen alle, daß er ein bewundernSwerter Dirigent ist, wir wissen, daß er alle diese bekannten Sachen in- und auswendig kaun, aber ich möchte von ihm auch einmal etwas anderes hören. Gerade er, mit der Größe und Wucht seines Namens, könnte sicher den um neue Wege und Ziele ringenden jungen Komponisten ein Helfer und Führer sein.

Da nimmt sich derAnbruch" schon viel häufiger, seltener gespielter Werke an. So widmete er sein drittes Orchesterkonzert einer Jugendarbeit Gustav Mahlers, dein Klagenden Lied". Dieses in Form einer großen Chorballade angelegte Werk er­fordert, wie fast alle Schöpfungen Mahlers, starke äußere Mittel: neben einem großen Orchester verlangt es gemischten Chor, Sopran-, Alt- und Tenor-Solo, In der Musik steckt schon der ganze echte Mahler; seine starke, ja manchmal fast allzu starke Neigung zu volkstümlicher Melodik, zu scharf pointierten Marschrhytbmen und nicht zuletzt seine Kraft zur Gestaltung, die auch in diesem Jugendwerk schon tiefe Eindrücke schafft. Bewundernswert vor allem die Plastische und lebendige Sprache des Or­chesters, dem allerdings Wohl die Hand des gereiften Meisters erst die letzte Formung gegeben hat.

Von bemerkenswerten Solistenkonzerten ist nicht viel zu erwähnen. Das Wichtigste waren die beiden Abende mit dem Phil­harmonischen Orchester, die Ferruccio Busoni gab. Er spielte sechs Klavier­konzerte von Mozart in so durchaus neuer und eigenwillig-geistvoller Weise, wie man es hier noch nicht gehört hatte. Nur er kann sich derartige Freiheiten in Phrasterung und Dynamik erlauben, denn die nach­schöpferische Gewalt seines Spiels ist so groß, daß er spontan zu überzeugen ver­mag. Unbestreitbar ist er der größte Klavier­spieler unserer Zeit.

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