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den die Briten viel zu lange als gleichgültig betrachtet haben. Ohne dabei seine letzten Absichten aus dem Auge zu verlieren, ist Frankreich bemüht, den Argwohn der Engländer in dieser Hinsicht zu zerstreuen. Staatssekretär Fischer und seine Begleiter sind daher in Paris, wo sie sich der Neparationskommission zur Verfügung gestellt haben, durchaus sachlich behandelt worden, und auch Rathenau. der zwar noch als Privatperson auftritt, aber als Vertrauensmann des Reichs' kcmzlers Wirth gilt, hat ebenfalls eine nicht unfreundliche Aufnahme gefunden. Die Franzosen möchten also in der Zeit vor dem Zusammentritt des Obersten Rates in Cannes ihre Bereitwilligkeit zu Auseinandersetzungen mit den Deutschen über die Finanzlage des Reiches zu erkennen geben, während sie auf der andern Seite bemüht sind, zur Verstärkung ihrer Position angeblicheVerfehlungen" Deutschlands gegen seine vertraglichen Verpflichtungen festzustellen. Geschickt und auch schmeichelhaft für England ist Briands Äußerung, der Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas müsse von Großbritannien und Frankreich gemeinsam eingeleitet werden. Ebenso trachtet Paris danach, die öffentliche Meinung der Amerikaner hinter sich zu haben und gibt vor, auf die amerikanischen Wünsche einzugehen, indem es sich zu dem Hughesschen Kompromiß bekennt, die Untersee­boote nicht zum Handelskrieg zu verwenden. Auf dem Papier klingt das ja sehr schön, für England hat eine derartige Erklärung aber keine große Bedeutung, denn im Ernstfalls würde es wohl nicht leicht sein, eine einmal vorhandene fran­zösische Unterseeboolflotte an der Vernichtung des gegnerischen Handels zu ver­hindern. Der französische Standpunkt in der Unterseebootangelegenheit bedeutet aber das darf man nicht übersehen in erster Linie eine taktische Waffe im Kampfe um die Reparationen. Frankreichs Verhalten ist darauf berechnet, den Wert der französischen Freundschaft den Londonern handgreiflich vor Augen zu führen. Das Projekt eines britisch-französischen Zusammenarbeitens für die Heilung der wirtschaftlichen Wunden der alten Welt, wie es auch bei den Be­sprechungen der Finanzsachverständigen in Paris zutage getreten ist, dient ferner dazu, den von Frankreich auf das schärfste befehdeten Gedanken einer großen gesamteuropäischen Konferenz unter Beteiligung Deutschlands, Österreichs und Nußlands in den Hintergrund zu drängen. Vom grünen Tisch aus läßt sich die Entschädigungsfrage über den Kopf der Hauptbeteiligten hinweg nicht lösen. Die 00 Millionen Deutsche müssen vollberechtigt mitwirken können, denn nur von innen heraus kann die Gesundung des deutschen Volkes und mit ihm Ost- und Mitteleuropas erfolgen, Objekt fremder Politik darf Deutschland nicht bleiben. Diese Binsenwahrheit muß sich erst durchsetzen, und Frankreich, ihr unerbittlicher Gegner, ist bemüht, den Tatbestand zu verdunkeln.

Paris geht inzwischen daran, den Wiederaufbau Osteuropas nach seinem Sinne zu regeln. Kerenski sitzt in Prag. Er ist einer jener Emigranten, auf die Frankreich seine Zukunftshoffnungen in Nußland baut, obwohl es'bereits auch Fühler nach den Sowjets hin ausstreckt, um von den englischen, amerikanischen nnd italienischen Milbewerbern nicht völlig ausgeschaltet zu werden. Von Prag aus betreibt aber der glühende Bewunderer Frankreichs, Benesch, eine sehr aktive Politik, die den Tschechen zur Führerschaft im ehemalizem Österreich-Ungarn zu verhelfen bestimmt ist. Auch in Wien sind die Franzosen nicht untätig, und die Abmachungen von Lana sind unter Ausnutzung der Notlage Österreichs von Benesch eingefädelt worden, um Österreich von Deutschland zu trennen und an die Kleine Entente zu ketten. König Karls zweite Fahrt nach Ungarn hat demnach doch einige von den Früchten getragen, in deren Erwartung französische militärische und klerikale Kreise das Unternehmen vorbereitet haben. Mißtraue» gegen Ungarn ist neben der wirtschaftlichen Bedrängnis ein Hauptbeweggrund für die Wendung der Wiener Negierung zu den Tschechen. Sicherlich ist der Verlust von Oedenburg eine schmerzliche Enttäuschung für Österreich. Aber auch da hat die französische Politik wieder erreicht, was sie anstrebte: die Entfremdung zwischen Wien und Budapest. Österreicher und Ungarn sind Opfer des Weltkrieges. Sie

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