Die Deutschen in der Kunst
Die Deutschen in der Aunst
Randbemerkungen zu Dehio
Von Professor Adolf Rapp, Tübingen
Der aus Straßburg vertriebene ehrwürdige Meister der Kunstgeschichte sammelt den Ertrag seines Gelehrtenlebens in einem Werk „Geschichte der deutschen Kunst". Bisher konnte er zwei Teile erscheinen lassen, die bis an die Dürerzeit heranreichen. (Jedesmal ein Band Text und ein Band Abbildungen, 1919 und 1921 bei der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger. Berlin und Leipzig.) Als den beherrschenden Gedanken bezeichnet er selber, daß er die Antwort suchte auf die Frage: „was offenbart uns die Kunst vom Wesen der Deutschen?", und er fügt bei: „es gibt in der deutschen Volksgeschichte innerste Kammern, zu denen nur die Kunstgeschichte den Schlüssel hat."
Über die Antwort, die er auf die grosze Frage findet, soll hier berichtet werden, und nur darüber. Also nicht über den ganzen fachmännischen Gehalt des Buches; einen Bericht solchen Inhalts müßte ein Kunsthistoriker schreiben. Dehios „Frage" ist die. welche für die „Kulturgeschichte" eines Volkes (in dem allein ernst zu nehmenden Sinn des viel mißbrauchten und oft unklar angewendeten Wortes!) gestellt werden mutz: aber eS ist ja eben eine alte Erfahrung, daß selbständige und fruchtbare „kulturgeschichtliche" Anschauung erst von solchen erreicht wird, die auf einem einzelnen Fachgebiet Forscher und Meister sind und da ihren festen Stand haben. Was so von verschiedenen Fachgebieten her, im lebendigen Zusammenhang natürlich, gewonnen wird, ergibt zusammengeschaut Kulturgeschichte; aber das Zusammennehmen des von Einzelforschern Dargestellten ist keine selbständige „Wissenschaft", und selbständige Beherrschung aller, oder auch nur mehrerer wichtigsten Einzelgebiete zusammen ist heute nicht möglich. — —
Dehio sucht also die deutsche Art. wie sie sich an der Kunst entfaltet. Er findet, datz die Entfaltung erst in langen Zeiträumen vor sich gehe und daß der Deutsche in verschiedenen Zeitaltern und in seinen verschiedenen Ständen, wie sie nach einander die Führung gewinnen, ein recht verschiedenes Gesicht zeige. Eine sich gleich bleibende Eigenart hat ein Volk (auch ohne daß an Veränderungen durch Blutsmischung gedacht wird) nur in gewissen mehr allgemeinen Grundzügen. Das Thema des Buches ist also genauer das, den „deutschen Menschen" in seinen geschichtlichen Lebensaltern zu zeigen; diese auch für sich sollen gekennzeichnet werden. Mehr oder weniger aber haben die abendländischen Völker, die doch eine Gemeinschaft bilden, jeweils einen gemeinsamen Zeitgeist.
Wenn jede Fähigkeit, die einen Menschen oder ein Volk auszeichnet, schon in der Anlage da sein mutz, so ist doch keineswegs zu erwarten, daß sie schon früh zutage trete. „Die Eigenart eines Volkes zeigt sich nicht in den Wurzeln, wo alle Völker scheinbar einander ähnlich sind, sondern in der Krone und den Blüten." Langsam und schwer haben die Deutschen ihre künstlerische Art entwickelt, und noch immer sind sie, hier wie sonst, „ein junges Volk". Wenn wir gewohnt sind, als deutsche Besonderheit im Künstlerischen die vorwaltende Aufmerksamkeit auf das Gegenständliche, das liebevolle Eingehen auf die Einzelheiten der Umwelt, den Trieb zu einem möglichst naturtreuen Darstellen zusammen mit der Kunst beseelter Charakterzeichnung anzusehen, so findet Dehio und bi> tont es stark, daß in den ersten Zeitaltern hiervon nichts zu erkennen ist, das Nachbilden der Erscheinungen der Umwelt gar nicht angestrebt wird. Vielmehr betätigt sich die Kunst der Germanen in Zieraten aus frei geschaffenen Linien uud bildet auch in Tierfiguren ihre Vorlagen zn unorganischen, „abstrakten" Linien um. Weit übers Mittelalter hin herrscht der Sinn fürs Lineare vor; daneben macht sich eine ausgesprochen dichterische Einbildungskraft mit dem Zug zum Phantastischen geltend, während der Sinn für Naturtreue unentwickelt bleibt.
Grenzboten I 1922