Bism«rcks Vermächtnis
tauchte er als A. v. Niedern und ähnlichen unfaßbaren Gestalten auf. Aus den dicken Bänden der von Poschinger herausgegebenen Aktenstücke: „Preußen am Bundestag" verfertigte er einen kleinen Poschinger, und für die zwei Bände: „Der deutsche Reichstag. Seine Parteien und seine Größen" stand ihm eine reiche Sammlung von Zeitungsausschnitten zur Verfügung. Überhaupt war in seinen Büchern viel Scherenarbeit. Bei der Eile, mit der er sie herstellen mußte, fehlte ihm Zeit und Lust, um in der Angabe seiner Quellen genau zu sein. Auch hierin verschleierte er gern. Im Falle Bismarck-Vallier war es „ein dem Fürsten nahestehender Parlamentarier", der ihm das Gespräch mitgeteilt hoben sollte. Sicherlich war Robolsky stramm bismarckosiiziös, aber freiwillig und ohne Auftrag.
Die Äußerungen des Fürsten zu St. Ballier nehmen bei Robolsky fast sieben Seiten ein. Ob Bismarck gegen das Gespräch nach seinem Erscheinen Widerspruch erheben ließ, konnte ich nicht ermitteln. Dagegen spricht, daß Robolsky im Jahre )889 in einen: neuen, von ihm unter dem Namen A. von Unger herausgegebenen Buche: „Unterredungen mit Bismarck" die Äußerungen zu dem französischen Botschafter wörtlich wieder abdrucken ließ. Nur die früher angegebene Quelle, der dem Fürsten Bismarck nahestehende Parlamentarier, fehlte. Dafür war in der Vorrede gesagt, daß das Buch nichts bringe, was nicht in längst verwehten Zeitungsblättern, in Memoiren und Tagebüchern zerstreut zu finden sei. Auch jetzt erfolgte, soviel mir bekannt, kein amtlicher Widerspruch gegen die angebliche Unterredung mit St. Ballier.
Erst nach dem Erscheinen des Eclardtfchen Buches kam eine Verwahrung. Hugo Jacobi erklärte nach Rücksprache mit Friedrichsruh in der „Allgemeinen Zeitung" das angebliche Gespräch für willkürlich erfunden und hob als unsinnig namentlich die Behauptung heraus, daß Bismarck das türkische Festland nur den Ostereichern, Franzofen und Deutschen vorbehalten wissen wollte. Auch von der Möglichkeit eines russischen Ranbzuges wollte man in Friedrichsruh damals nichts wissen und nannte sie eine Utopie, die durch demokratische und polnische Preßeinflusse großgezogen werde.
Aber neben der schwachen Stelle über die europäische Türkei enthält die angebliche Unterredung mit St. Ballier sehr starke Sätze, die sich Robolsky gewiß nicht erfunden hat und Fürst Bismarck sehr Wohl in der Zeit der russischen Kriegsdrohungen 1879 zn einem so diskreten und verständigen französischen Vertreter, wie es der damalige Botschafter in Berlin war, gesprochen haben könnte. Bismarck hatte ja auch in Wien vom Kaiser Franz Joseph und Grafen Andrassh bestätigen hören, daß der Gortschakofische Plan eines Bündnisses mit Frankreich an der Abneigung der Pariser Negierung bisher gescheitert sei. Neben einer packenden Schilderung des historischen Verlaufs der Kriege in der Mitte Europas darf man zu den starken Stellen in dem Bericht z. B. diese rechnen: „Wenn England und Rußland famt ihren Satrapen Gelegenheit fänden, sich in den Besitz der Türkei zn teilen — denn ans den Antagonis- m u s de r beiden Welt m ächte die Hoffnu n g zusetzen, wäre w ohIWahnsinn — dann hätten die Siege oder 'Niederlagen der mitteleuropäischen Mächte allerdings den traurigsten Ausgang genommen, und ihr Schicksal wäre besiegelt."
Also bei der Berufung auf die Robolskysche Sammelschrift zum Beweise für gelegentliche polenfreundliche Anwandlungen Bismarcks im Kanzleramt bleibt ein ncm Uauot. Der Bismarck im Ruhestande ist jedenfalls bei seinen Angriffen auf den neuen von den alten „Reichsfeinden" Zentrum und Fortschritt unterstützten Polenkurs in Preußen fortwährend davon ausgegangen, daß dieser den deutsch-russischen Beziehungen abträglich sei. Tarin ließ er sich auch durch den selbstherrlichen Dünkel nicht beirren, in dem das Zarenregiment die Vergewaltigung des Baltikums durchführte und periodisch den unterdrückten Kongreßpolen ein größeres Maß von Freiheit in Kirche und Verwaltung verhieß, ohne sich dort um deutsche Empfindlichkeiten und hier um etwaige Rückwirkungen auf die preußischen Ostmarken im mindesten zu kümmern.