Lin- und Ausblicke
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Schweinerei"; mit siebzehn Jahren seien die Mädchen schwanger, die jungen Barschen verseucht und entnervt. Zu diesem Urteil paßt, was Wyneken im „Anfang" sagt:
„Wir sind doch keine Schulreformer! Derartige Ausbesserungsarbeiten können wir ruhig den Leuten vom Bau, den Wirklichen Geheimen Ober- und Unterregierungsräten überlassen. Wir wollen die Schulrevolution. Wir wollen die Schule abschaffen, d. h. sie von Grund aus umgestalten, daß sie etwas ganz anderes, Neuartiges darstellt, nämlich einen Sammelplatz für die Jugend."
Hierbei soll namentlich das Liebesleben eine Rolle spielen, deshalb schrieb Herbert Blnmenthal in der genannten Zeitschrift „Anfang":
„Wir übernehmen die Erotik mit allem Drum und Dran an Unkultur in Bausch und Bogen, und wer da nicht mitgeht, verfällt der Mißachtung als ein Quietist, ein Totschweiger, ein Feigling, ein Krüppel. Wir veranstalten Winters und Sommers unsere Feste, die nur von uns und für unS sind, wi'' machen den Tanz deutlich erotisch, wir flirten und lieben, wo wir nur können."
Dies alles soll erreicht werden durch die „freie Schulgemeinde", in der die Lehrer wie die Schüler die gleichen Rechte haben, um sich auszuleben. Vom Christentum als positiver Religion will die freideutsche Jugend nichts wissen. Deshalb hieß es in dem Festberichte über dem freideutschen Jugendtag 1913 auf dem Hohen Meißner:
„Das Altertum kaun uns nicht mehr die Kultur schlechtweg sein, so wenig wie das Christentum die Religion . . . Euer Geist und Gemüt möchte nickt gebunden bleiben an die Vorstellnngen und sittlichen Regeln einer einzigen Form der Religion."
Der geistige Vater dieses Rummels, bemerkte die „Rhein- und Wied- Zeitung". Wyneken, von Hoffmanns Gnaden jetzt vertragender Nat im Ministerium, hat nun so überall in Deutschland seine Freunde in der studierenden Jugend. Er versandte ja auch seinen „Anfang" vorsichtigerweise auf Wunsch unter Kuvert, damit die Eltern nichts davon merken sollten. Unter seinen Anhängern befindet sich auch ein junger Herr aus Neuwied, Paul Vogler mit Namen, der das Neu- wiedcr Gymnasium mit dem Zeugnis der Reife für Oberprima verließ, um sich privatim auf das Abiturium vorzubereiten, wollen wir einmal sagen. Er Hot eine Schwester, die als technische Lehrerin am Neuwieder Lyzeum und Oberlyzeum wirkt und ebenfalls die heutigen Bestrebungen Dr. Wynekens unterstützt. Genannter junger Mann — er ist Heuer ganze 19 — neunzehn Jahre alt und selbst unter dem demnächstigen Wahlrecht noch nicht wahlberechtigt, viel weniger großjährig — ist plötzlich, gewissermaßen über Nacht, etwas „Hohes" geworden: denn er ist nunmehr Staatskommissar für Westdeutschland, um Material für den neuen Ministerialrat Dr. Wyneken zur Schulreform zu sammeln.
Armes deutsches Volk.
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Das deutsche Bürgertum steht allen diesen Erscheinungen des Zerfalls recht eigentlich ratlos gegenüber. Die Parteizerklüstung ist größer denn je und neue Splitterungen bereiten sich vor. Es scheinen lediglich wirtschaftliche Gesichtspunkte für die Parteibildung maßgebend zu seiu nnd doch sind es vor allen Dingen persönliche. Zu Tode gehen zunächst die alten liberalen Gruppen: die
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