Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel. Die Ernenmmg des Staatssekretärs des Auswärtigen Dr. Freiherrn von Richthofen zum preußischen Stciatsminister nach der Annahme der Handelsverträge hat zu bemerkenswerten Auseinandersetzungen in der Presse geführt; bemerkenswert hauptsächlich deshalb, weil sich darin die Wandlungen deutlich spiegeln, die der öffentliche Geist in Deutschland in bezug auf das Verhältnis zwischen Preußen und deni Reich in den letzten dreißig Jahren durchlaufe» hat. Zum erstenmal wurden Staatssekretäre des Reichs zu preußischen Ministern und zu Mitgliedern des Staatsministeriums im Frühjahr 1876 ernannt. Delbrück war damals zurückgetreten, der hessische Minister Hofmann zu seinem Nachfolger ernannt worden. Bevor Bismarck damals einen längern Urlaub antrat, erfolgte am 7. Juni die Ernennung des Präsidenten des Rcichskanzleramts Hofmann und des Staatssekretärs des Auswärtige» von Bülow (des Vaters des jetzigen Reichskanzlers) zu preußischen Stantsministern und Mitgliedern des preußischen Staatsministeriums, obwohl beide nicht Preußen waren. Präsident Delbrück war während seiner Amtsführung ebenfalls preußischer Stantsminister gewesen, mit dem Rang und dem Titel eines solchen, aber nicht Mitglied des Staatsministeriums. Seine Ernennung erfolgte im Frühjahr 1868 mit dem Mandat, im Austrage des Reichskanzlers und in dessen Vertretung den Sitzungen des preußischen Staatsministeriums beizuwohnen, in denen wichtigere Reichsangelegenheiten zur Erörterung standen, und hierbei deu Anschauungen des Reichskanzlers amtlich uud mit voller Autorität Ausdruck zu geben. Bei dem großen persönlichen Einfluß Delbrücks hatte diese Form genügt. Um seinem mit den Verhältnissen in Preußen weniger vertrauten und den leitenden Persönlichkeiten weniger nahestehenden Nachfolger annähernd dieselbe Autorität im preußischen Staatsministerium zu geben, mußte der Einrichtung, die sich, bisher auf der Persönlichkeit Delbrücks beruhend, vorzüglich bewährt hatte, ein amtlicher und organischer Charakter verliehen werden. Es war naheliegend, bei. dieser Gelegenheit nicht nur dem Vertreter des Reichskanzlers in den inncrn Reichscmgelegenhetten Sitz und Stimme im preußische» Stantsministerium zu geben, sondern ebenso dem Vertreter des Reichskanzlers in den auswärtigen Angelegenheiten, zumal da hierbei nicht nur die auswärtigen Angelegenheiten des Reiches, sondern auch die Angelegenheiten Preußens in Deutschland, d. h. die Beziehungen zu den deutschen Höfen und Negierungen, in Betracht kamen. Auch war Herr vou Bülow in weit höherm Grade der eigentliche Vertrauensmann Bismarcks. Der Umstand, daß Nichtprenßen in die oberste Leitung der preußischen Staatsgeschäfte berufen wurden, galt damals allen patriotischen Kreisen als ein dem deutschen Berufe Preußeus entsprechender Fortschritt. Der Akt der Ernennung erfuhr eine authentische Interpretation in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni, worin ausgeführt wurde, „es sei damit die Bestätigung des Gedankens und die Bürgschaft für seine Ausführung gegeben, daß die Politik und die Interessen Preußens sich niemals ini Widerspruch mit denen Deutschlands befinden und nicht auf verschieduen Wegen verfolgt werden können." Weiter hieß es wörtlich: „Die weitere Folge der jetzigen Anordnung ist, daß dem Preußischen Staatsministerium durch die Aufnahme der beiden hohen Reichsbemnten, welche erst durch die Übertragung des preußischen Staatsamts in den preußischen Staatsverband getreten sind, aber wiederum nur aus Rücksicht für ihre Reichsämter, eine gegen das Reich hin anfgeschlossene Stellung gegeben wird, wie sie den Ministerien der übrigen Pcirtikularstaateu nicht eigen, durch den Hegemonieberuf Preußeus aber erfordert ist." Zum Schlüsse dieser Ausführungen wurde daun noch hervorgehoben, daß damit die Anwendung gewisser konstitutioneller Doktrinen auf die preußischen Verhältnisse, wonach das Ministerium der Kammermajorität entsprechen