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Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts :
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Bilder ans dem deutsch-französischen Kriege

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und Branntwein und weiß nicht, was hier vorgeht. Das wird heute auch dem armseligsten Weibe nicht mehr in den Mund kommen, Kaffee und Branntwein gelten auf der Insel nicht mehr als königliche Genußmittel.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Ans dein Nachlaß von Friedrich Ratzel

Tin zündender Blitz

(Schluß)

>er Geistliche ließ mich nach Tische nicht gleich cmfstehn, er schien noch manches auf dem Herzen zu haben, wovon es ihn zu sprechen drängte. Wahrscheinlich hatte er in diesem Dörfchen keinen Überfluß von Ansprache, vielleicht hoffte er auch neues von mir zu hören. Zunächst freilich schien er mehr Lust zu haben, sich selbst als mich I zu vernehmen. Mir aber war es nur recht, ihm zuzuhören, denn aus seinem Munde rollte Satz auf Satz, wohlgebildet, klangvoll und frei von der Phrase, die soust die Äußerungen der Franzosen über den Krieg entstellten. Übrigens wies ihn seine Rede nicht als Jurassier aus, wofür ich ihn gehalten hatte, er stammte aus dem Herzen Frankreichs, der Tonraine. Es war etwas Abschweifendes, nach Bildern Suchendes in seinen Reden, das niir zuzeiten unklar blieb. Doch verstand ich ihn wohl, wenn er sagte: Was wollen wir schwachen Leute? Über uns, hoch oben hat sich ein Block losgelöst und rollt zu Tal. Wer hält ihn? Es gibt kein Gesetz Gottes, das der Krieg nicht mit Füßen träte, er ist ein schweres Übel. Aber aus dem getretnen Boden springt oft die beste Saat auf; uud es gibt auch keine Tugend, zu deren Übuug der Krieg nicht Anstoß gäbe. Sie können von französischen Kugeln und sogar von Meuchelmördern er­zählen, die ein Geschäft mit der Flinte machen, aber gewiß auch von französischem Christensinn.

Bon jenem und von diesem, sagte ich, doch heute lieber von diesem. Es ist zum Beispiel noch nicht lange her, als ich in einer kalten Nacht, es war am 4. Dezember, in Dijon eine alte Frau, die nicht zu den Reichen gehörte, mit einem Topfe warmen Kaffees bei den Posten vor dem Spital hernmgehn sah, sie gab den halberfrornen Burschen zu trinken: eine kleine Gabe großer Barmherzigkeit! Gewiß hatte auch diese alte Frau die rauhe Hand des Krieges zu spüren be­kommen. Wer nicht? Aber es hinderte sie nicht, Barmherzigkeit zu üben. Und "ls ich nach dem blutigen Gefecht bei Ruits erschöpft neben dem Herd eines armen Hauses niedergesunken war, fand ich mich Morgens mit einem Frauenrock bedeckt, den die mitleidige Hand der Bäuerin über mich gebreitet hatte, während ich im Herdwinkel lag. Es war das einzige, was ihr geblieben war, womit sie einem kranken Feind eine Wohltat erzeigen konnte!

O, unsre Frauen sind mildherzig. Die französischen Eigenschaften gedeihen überhaupt besser auf dem Boden der weiblichen als der männlichen Natur. . . . Ich bin für den Frieden, fuhr er nach einer Pause mit einem Ausdruck der Über­windung fort, ja für den Frieden. Sie wundern sich wohl?

Ich antwortete ihm, indem mein Blick unwillkürlich zu dem friedvollen Marienstandbild zwischen den Fenstern hinüberschweifte, daß der Geistliche ja ohne­hin ein Diener des Friedens sei, dem die Greuel des Krieges viel unnatürlicher vorkommen müßten als uns. Sein Ange war dem meinen begegnet und blieb, Grenzboten I 1905 45