Die Frau Bürgemeisterin.
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liehen Beschreibung bedürften wie bei Freytag. Bei dem vereinzelten Vorkommen solcher archaisircnden Wendungen wird natürlich der Zweck, dem Roman altertümliches Kolorit dnrch sie zn geben, ebensowenig erreicht wie durch die andern schon charakterisirten Mittelchen.
Ist demnach der Roman als „historisch" im großen wie im kleinen als mißlungen zn bezeichnen, was läßt sich anders über das Werk als Roman schlechthin sagen? Nun, wir meinen, daß unser Urteil hierüber durch die bisherigen Erörterungeil schon so ziemlich gegeben sei. Die Anlage des Ganzen ist durchaus verfehlt. Die eigentliche Fabel verschwindet gegenüber dem ungebührlich in die Breite gehenden Beiwerk. Die Hanptfabel wird von der Nebenfabel, und beide zusammen von dem historischen Hintergrunde beiseite gedrängt und fließt eigentlich nur tropfenweise. Es giebt ganze Kapitel, in denen für die Haupthandlung so gut wie nichts geschieht, z. B. in der Schilderung des Jahrmarkts. So kommen die einzelnen fesselnden Momente derselben nicht zur Geltung. Daß sie deren hat, wer wollte das lengnen? Herr Ebers ist ja vorzugsweise „ein sinniger Dichter." Lassen sich auch gegen die psychologische Grundlage seines Romans begründete Einwendungen erheben, so bietet er uns doch einzelne feine Züge, die den guten Beobachter verraten. Die verschiedenen Versuche Peters van der Werft z. B., seine Frau mit an der Sorge für das Gemeinwohl teilnehmen zu lassen, die aber an der gezwungenen Absichtlichkeit scheitern; die knabenhafte Neigung Adrians für die schöne Henrita, für deren Befreiung vom Kopfschmerz dnrch das Mittel des Marktschreiers er das ganze Jahrinarktsgeld opfert; die Art, wie der alte Doktor Bontins Frau Maria zur Hilfeleistung bei der kranken Henrik» herbeiholt, dann aber durch seine vergreifenden Bestimmungen ihr die Freude des Helfens zum guten Teile vor- dirbt — dies und manches andre ist sinnig erdacht und ansprechend geschildert. Aber das bleiben Bruchstücke, Ansätze, die der Verarbeitung in den Zusammenhang erst noch bedürften. So könnte der Doktor recht gut fördernd oder hemmend in die Annäherung der Gatten eingreifen; so bleibt der Umstand, daß Henrika die Liebe Georgs zn Maria bemerkt, ohne allen Einfluß, ebenso wie Henrika's stille Neigung zu diesem keinen Knoten der Verwicklung schürzt. Kurz, es fehlt auch hier die sorgfältige Durcharbeitung. Trotz allen hübschen Details bleibt der Roman Flick- und Stückwerk! Und diesen Eindruck des Halbfertigen, Unausgeglichenen, Uubefriedigenden hinterlassen endlich auch die einzelnen Gestalten. Im gauzeu sind sie ja nicht übel gezeichnet. Freilich sind es meist keine besonders scharf markirten Charaktere. Nur zwei haben einen wirklich originellen Anstrich: des Bürgermeisters Schwester Barbara mit ihrer Spruchweishcit und der Fechtmeister Allertssvhn mit seiner Suite von Quart, Terz und Seitcnseknnde und mit seiner Seelenwandcrungslehre. Aber der letztere weist eigentlich seine Berechtigung nicht recht nach; der breiten Ausführung dieser mit sichtlicher Vorliebe geschilderten Gestalt entspricht nicht ihre Bedeutung für die Entwicklung der Handlung. Ärnizbvtt'N I. 1882, (!4