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Nene historisch-politische Schriften.
Aolicsvierrc's Triumph und Stur.;. Ein Beitrag zur Geschichte der französischen Revolution. Von Theodor Opitz. Leipzig, Cvstcnoble und Remmclmann. — Motto: „Und man kann sagen, es sei diesem Menschen mit der Tugend Ernst gewesen." — Opitz gehört zu einer Schule, die wir iu srühcrcn Slbhaudluug.cn kritisirt haben, zur Schule der souveränen Kritik, als deren Haupt Bruno Bauer zu betrachten ist. Von dieser Schule ist eine Reihe vou Beiträgen zur Geschichte der französischen Revolution ausgegangen, die schon iu Beziehung auf die äußerliche Form alle das Gemeinschaftliche haben, daß sie iu dem Charakter Vou Exccrpteu austreten, und, einzelne eingestreute kritische Bemerkungen abgerechnet, ans das Sorgfältigste jeden Anschein einer selbstständigen Durcharbeitung vermeiden. Aus diese Weise glaubt sie ihrem Gegenstand am meisten gerecht zu wcrdcn, und, wie man sich ausdrückt, objcctiv zu sein. Für einen geübten Leser hat in der That ein solches Verfahren seine Vorthcile, z. B. in dcm Vorlicgendcn Buche, wo ein sehr großer Thcil der Reden Nobespierre's und seiner Freunde wörtlich cxcerpirt sind, kann man sich lcicht ein Urthcil über die geistige Beschaffenheit dieser Männer bilden, das freilich ganz anders ausfallen wird, als der Verfasser es haben will, denn die geistige Nullität, die hohlste Phrascnwirthschast verbindet sich mit einem Dünkel, einer verstockten Einbildung, daß von dcm Bilde eines reisen uud tugendhaften Mannes, der in NobeSpicrre dargestellt wcrdcn soll, nicht vicl übrig blcibt. Abcr der gewöhnliche Leser verlangt, und mit Recht, etwas Anderes; er will, daß der Geschichtschreibcr seinen Gegenstand beherrscht, und jenes Vertrauen gebietet, welches nicht lediglich aus dcm Gefühl dcr Gewissenhaftigkeit entspringt, wenn diese ohne Einsicht ist. Die historische Kunstform versteckt nicht die Wahrheit, sie läßt sie vielmehr erst rein hervortreten. — Abgesehen von diesen äußerlichen Ausstellungen ist es von Interesse, zu untersuchen, wie gerade eine Schule, die iu ihrem sittlichcn Zcrsctzungsproccß so weit gekommen ist, alle feste Substanz der Gesinnung, der Tugend, des Patriotismus, dcr Religion u. s. w. als cm Hindcrniß dcr unaufhaltsam wcitcr strebenden Cultur zu verwerfen, einem Mann so vicl Thcilnahmc hat schenken können, bei welchem diese der Cultur widerstrebende Momente aus eine so scharfe, ja paradoxe Weise sich ausgeprägt zeigen. Dcr fanatische Cultus dcs Vaterlandes, der Freiheit, dcr Tugend, selbst des höchsten Wesens, wie dieser Hohepriester dcr Guillotine ihn theoretisch uud praktisch ausübte, hätte doch dem lustigen Standpunkt der souveränen Kritik aus keine Weise genügen können. Und doch kommt Nobespierrc unter allen Revolutionärs bei Bruno Bauer am besten fort — wobei freilich ein älteres Werk, die Apologie Nobcspierres von Funk nicht ohne Einfluß geblieben ist — uud scin gelehriger Schüler widmet ihm eine eigene Apotheose. — Der Gruud ist ein doppelter. — Einmal das Bestreben, über die „triviale" Ausfassung der „bürgerlichen" Geschichtschreibcr, wie Thiers, Mignct u. s. w. hinauszugehen. Diese ließen sich bei ihrcm Urthcil über die einzelnen Charaktere, ganz wie die öffentliche Meinung, deren Vertreter sie sind, durch die Totalität dcs Eindrucks bestimmen; Kraft, Liebenswürdigkeit, Gemüth, das Alles kommt bei ihnen in Rechnung, ganz ohne Rücksicht daraus, ob diese wohlthucnde Eigenschaft mit dcr speciellen Mission dieses Charakters im Einklang steht, ganz wie das gewöhnliche Publicum die Leistung dcs virtuosen Schauspielers nicht nach der Stellung abmißt, die ihm in dcm Stück zukommt, sondern für