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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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vor der Berührung mit der widerwärtigsten Ausartung des Herzens und der Ge­sinnung.^ Wie mögen die Wiener Antisemiten über diese Sätze gelacht haben! Wenn die Juden, in deren Namen da gesprochen wurde, es über sich vermöchten, unter ihresgleichen zu bleiben, nicht darauf versessen wären, sich überall einzu­drängen, am hartnäckigsten dort, wo man sie nicht haben will, so hätte der Anti­semitismus nie seine jetzige Verbreitung erhalten. Mit den Juden, die sich wirklich eins fühlen mit der Nation, unter der sie leben, verkehrt jeder Gebildete auf dem Fuße der Gleichheit. Aber gerade das findet der Artikelschreiber am empörendsten, daß gebildete Christen im geselligen oder geschäftlichen Verkehr auch Judeu gegen­über die üblichen Formen beobachten, und dennoch für Antiliberale stimmen! Viel begründeter wäre der Vorwurf, daß Leute aus jüdischem Stamme, die auf­richtig europäisch, deutsch, christlich geworden sind, in jedem Konflikt, gleich dem starken Rassengefühl nachgebend. sich auf die Seite derer stellen. mit denen sie nichts mehr gemein haben als die Abstammung.

Der Artikel weiß natürlich besser, was der ganzen Bewegung zu Gruudc liegt. Nicht etwa religiöser Eifer, den der Verfasser beiFrömmlern" noch be­greifen würde, auch nichtder Kampf gegen das, was jüdisches Kapital genannt wird, denn die kleinsten Hausirer und Krämer, der jüdische Mittelstand, leiden viel mehr als die Millionäre, die das Grollen nur durch die Fensterläden ihrer Paläste vernehmen. Nein, in dieser sozialen Bastnrdbewegung ist der gemeine Kitzel zu spüreu. den Fuß auf eiuen fremden Nacken zu setzen und ein äußeres Merkmal durch Mißbrauch in einen rechtlichen Vorzug zu verwandeln nsw."

Ist cmch der Sinn desMißbrauchs eines äußern Merkmals" dunkel, so zeigt doch die ganze geschmackvolle Auseinandersetzung klar, daß sich die jüdischen Zeitungen bei Ermittlung der Ursachen der Niederlage der sechsten Großmacht au das Vorbild der revanchebrüteudeu Franzosen halten. Die Arier wollen die Juden kuechteu, wie Preußen eroberungssüchtig das friedliche Frankreich anfiel.Schleichende Heuchler" haben denbetrunknen, unwissenden Hausknechten" Unterstützung ge­währt, wie die durch deutsches Geld bestochnen Generale Armeen und Festungen auslieferten. Die verratnen Geschlagnen sind sich keiner Schnld bewußt! Und doch ist niemand besser in der Lage, die Erscheinung natürlich zu erklären, als die so­genanntenjudenliberalen" Zeitungen. In ihren eigneu Spalten können sie finden, daß es eine Beleidigung uud Herausforderung ist, sich Christ zu nennen, daß die Forderung eines in christlichem Geiste erteilten ersten Unterrichts in der Volksschule absolut nicht zu bewilligen ist, daß Ausbeutung des Handwerks durch Großindustrie und Zwischenhandel zu den Grundsteinen des modernen Staats gehört, daß es un­sittlich ist, den Quellen desmodernen" Reichtums nachzuforschen, daß National- gesinnte, die nicht den Judeuliberaleu Heeresfolge leisten. Verräter an Vaterland uud Freiheit sind. Und wenn die Journalisten einmal auf die Namen der ehren- werteu Herren achten wollten, die ihnen unter Tagesneuigkeiten und Ankündigungen am häufigsten begegnen, so würde ihnen vielleicht einiges klar werden. Oder können Namen nicht auch zumäußern Merkmal" werden? Nun beachte mau einmal die Namen von Advokaten, die sich als Verteidiger durch rabulistische Findigkeit und durch unverschämtes Auftreten gegen Richter uud Staatsauwälte hervorthun. von Führern." die Arbeiter zur Arbeitseinstellung Hetzen, deren Erfolg so oft darin besteht und bestehen muß, daß die Streikenden ihre Ersparnisse aufzehren nnd nms Brot kommen, von andern Volksfreuudeu, die den kleinen Mann zu Börsen­spekulationenmit sicherm Gewinne" verleiten wollen, von den Verfassern von marktschreierischen, meist iu dem schlechtesten Deutsch abgefaßten Verkaufs- oder Aus- Ml'cnzl'vte» IV 1895 36