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Die englisch-deutschen Bündnisverhandlungen von 1898-1901 im weltpolitischen Zusammenhang
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Die englisch-deutschen Bündnisverhandlungen von 53991905 usw.

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gelegt sind; eine besonder«? Anregung bieten zwei jüngst erschienene Werke zur Ge­schichte von Deutschlands auswärtiger Politik, zumal aus den Jahren, in denen der Knoten geschürzt wurde: Es sind die Mitteilungen Otto Hammanns über den neuen Kurs" unddie Vorgeschichte des Krieges", vor allem aberdie Erinne­rungen und Denkwürdigkeiten" des Freiherrn von Eckardstein. Beide Bücher ergänzen sich in willkommener Weise: Hammann berichtet von der Zentralbehörde Berlin aus, vom Auswärtigen Amte, indem er die Presseabteilung leitete, Eckard­stein weilte auf diplomatischem Posten und wurde zuletzt als Botschaftsrat um so tiefer in die diplomatischen Geschäfte eingeweiht, als der vorgesetzte Botschafter Graf Hatzfeld durch Krankheit immer wieder in der Geschäftsführung unterbrochen wurde. Stofflich berühren sich beide Werke in einem bedeutsamen Thema: In der Be­handlung des Verhältnisses Deutschlands zu England, d. h. in jenem politischen Problem, dessen mangelnde Lösung zum Zusammenbruch Deutschlands beigetragen hat. Diese Verursachung ist bereits vielen unter uns deutlich genug zum Bewußtsein gekommen, wir wußten aber noch nicht viel von den Möglichkeiten, die auf dem Wege lagen; unsere Gewährsmänner bringen uns in dieser Hinsicht Enthüllungen. Tiefen Eindruck macht die Bekanntgabe, daß England uns mit Bündnisangeboten gegen­übergetreten ist, die einen anderen Charakter trugen als frühere flüchtige Angaben es vermuten ließen: Das Bündniswerben erfolgte nicht einmal, im Vorübergehen, nein, wiederholt und eindringlich, Deutschland war es, das aus den Verhandlungen nichts werden ließ. Jedermann glaubt herauszufühlen: Hier entschied sich Deutsch­lands Schicksal; um so mehr drängt es den Historiker, zu prüfen, welche Erwägungen die deutsche Regierung bestimmten. Eckardstein und Hammann geben beide ihr Urteil ab: Eckardstein führt das -Verfehlen darauf zurück, daß man in Berlin überhaupt nicht wußte, was man wollte, er verdammt die auswärtige Leitung, das Auswärtige Amt, dasZentralrindvieh", wie Fürst Münster es nannte, in Grund und Boden; Hammann tritt für mildernde Umstände ein, kurzsichtig und unbedacht sei man nicht verfahren. Der Historiker dankt für kostbaren Quellenstoff, aber verlangt die Kritik nach seiner Art einstellen zu dürfen; er weiß, daß das letzte Wort auf lange hinaus noch nicht gesprochen werden kann, will aber schon die bisherigen Kenntnisse nützen, um eine Urteilsbildung vorzubereiten. Er sucht nach wissenschaftlichen Maß­stäben und findet sie, indem er das Einzelgeschehen einreiht in die weltpolitische Entwicklung, diese aber von der Reichsgründung an vor seinen Augen vorüber­ziehen läßt.

So beginnen wir damit, die Grundzüge der Politik des gewaltigen Reichs­gründers uns in Erinnerung zu rufen. Sie sind uns vertraut und doch, seit Deutschland Niederlage rückt alles in andere Beleuchtung. Zuversichtlich und froh Meinten wir früher, die Neichsgründung habe uns einen Abschluß gebracht, nicht Mir inner-, sondern auch äußerpolitisch; je kühner viele Deutsche sich in politischen Kombinationen verloren, desto mehr wähnten sie, sich auf sicheren Grundlagen zu befinden. Das Bewußtsein, das den Reichsgründer selbst nie verließ, verblaßte Winitten einer jüngeren Generation: Daß die Sicherheit des Reiches nichts Fest­stehendes war, sondern ein Gut, daß alle Zeit argwöhnischer Sorge bedürfte. Bekannt ist der Ausspruch des Fürsten Gortschcckow vom Alpdruck der Koalitionen, der Bismarck quäle; gefahrvolle Koalitionen zu verhüten, um den Bestand des Reiches und seine Grenzen zu schützen, das war Bisnmrcks Kernaufgabe. Die Maßnahmen,