Ministerumwälzungen in Rußland
llmählich gelangen wir in den Besitz der russischen Preßstimmen über den Rücktritt des russischen Außenministers Ssasonow. Der Rücktritt ist seinerzeit für das deutsche Publikum ziemlich überraschend eingetreten. Man konnte sich ein Bild darüber, welches die Anlässe oder vielleicht die tieferliegenden Ursachen für den Personenwechsel an einer so maßgebenden Stelle gewesen sind, nicht machen, denn eine eigentlich größere Frage auf dem Gebiete der äußeren Politik, bei der man von einem in die Augen tretenden Mißerfolge Ssasonowscher Ge danken hätte sprechen können, war nicht vorhanden. Allerdings lag eine Tatsache vor, die auch die deutsche Öffentlichkeit lebhaft beschäftigt hat: es war der Abschluß des russisch-japanischen Bündnisses.
Mit diesem Bündnis hat sich auch unsere Zeitschrift beschäftigt. Der Wortlaut der Bündnisurkunde, wie er in der „Nowoje Wremja" in französischem Text bekannt gegeben worden ist, ist der deutschen Leserwelt durch die Tageszeitungen mitgeteilt worden. Außer diesem Hauptvertrage, der den wesentlichen Bündnisgedanken wiedergibt, ist offenbar ein zweites Dokument nebenhergegangen, das sich auf die Spezialabmachungen zwischen diesen beiden Mächten, namentlich auf die Abtretung eines Stückes der oft-chinesischen Eisenbahn, auf die Waffenlieferung Japans an Rußland bezieht und die Grundlagen für eine Ausdehnung der japanischen Ansiedlungsmöglichkeiten im östlichen Sibirien enthält.
Es lag nahe, zunächst daran zu denken, daß der Abschluß dieses Bündnisses, das von der russischen Presse mit geteilten Gefühlen aufgenommen und von der englischen Presse mit sauerer Miene registriert wurde, eine der Ursachen für den Rücktritt Ssasonows gebildet hat. Denn es ließ sich denken, daß diejenigen Kreise, die den Abschluß des Bündnisses als nicht im Interesse der gegenwärtigen politischen Gruppierung Rußlands in Europa liegend erachteten. Grenzboten III 1916 17