Beitrag 
Kanzlerreden
Seite
100
Einzelbild herunterladen
 

»

100 Ucmzlerredcn

Triumphe feierte. Bülows Auftreten im Reichstage war immer bis ins Kleinste vor­bereitet; jeder, auch der kleinste Mitspieler hatte seinen Platz und wenn Graf Ballestrem oder Graf Stolberg dem fürstlichen Kanzler das Wort erteilte, stand Bülows Persönlichkeit im Brennpunkt des Interesses, Übergossen von dem Licht­schimmer eines unsichtbaren Scheinwerfers, den er sich selbst gerichtet hatte.

Wenn behauptet wurde, Bülow habe das Drum und Dran in seinen Reden aus Vüchmanns Zitatenschatz zusammengesucht, so darf man das nicht wörtlich nehmen, denn er war ein viel belesener Mann und seine Arbeits­methode war überhaupt nur möglich bei einem hervorragend guten Gedächt­nis. Er gab nur wieder, was die Geister, mit denen er sein Leben lang in engstem Gedankenaustausch gestanden hatte, ihm während der Überarbeitung der von andern im Rohblock hergestellten Reden zuflüsterten. Des Mannes Gedankenwelt, der mit Mommsen, Gregorovius, Malvida von Meusenbug, mit Turgenieff und den beiden Charmes, mit de Cesare und Grigorowitsch intimen Verkehr unterhielt, schafft sich andere Bilder als der eines Bismarck, der selbst als Staatenbauer gewirkt hatte. Auch der Umstand, daß Bülow der inneren Politik ziemlich fremd gegenüberstand, als er ihr Leiter wurde, konnte nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung seiner Reden bleiben.

Schlaglichtartig beleuchtet wird die Arbeitsmethode Bülows, wenn wir sehen, wie er sich beim Staatssekretär des Auswärtigen in Fragen der inneren Politik Rats holt und ihn mit Ausarbeitungen für eine Rede beauftragt, wegen ergänzenden Materials aber an den Chef der Presseabteilung Hamann verweist und hinzufügt:An Umfang nicht zu groß. Kurze Sätze. Das Drum und Dran füge ich selbst hinzu."

Bülow lernte seine Rollen leicht und gut. Ein Freund langer Kon­ferenzen und tiefdringender Aussprachen war er nicht. Das überließ er Richt- hofen, den er ebenso wie Loebell und Hamann durch fortlaufend hinter- eincmderfolgende weiße Zettel oder wasserblaue Karten und Briefe, mit Blei­stift oder Tinte von Schäfers schneller Hand geschrieben, dirigierte. Manchmal treffen an einem Tage ein Dutzend oder mehr solcher Schriftstücke bei den einzelnen ein und man weiß nun, wozu die große Anzahl feingespitzter Blei­stifte und Stöße von Notizpapier und Umschlägen in verschiedener Größe in seinem Zimmer aufgeschichtet waren,während außerdem nicht ein Blatt oder eine Spur von irgendwelchen Zeitungen, Manuskripten oder Briefen... zu sehen war . . .," wie der Engländer Sidney Whitman berichtet (Deutsche Erinnerungen". Stuttgart-Berlin, Deutsche ' Verlagsanstalt, 1913, S. 274). Bismarcks Arbeitsmethode hatte zur Folge, daß er oft viele Tage für die laufenden bureaukratischen Geschäfte nicht zu erreichen war, freilich ohne daß die Politik darunter gelitten hätte. Bülow war in ständiger Verbindung mit allen Einzelheiten, die ihm zugetragen wurden, mochte er in Norderney, Flott- beck oder Berlin sein. Aber während unter Bismarck die Staatssekretäre und Minister ständig über ihre Aufgaben der Öffentlichkeit gegenüber unterrichtet