4Og Victor Hngo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung
In Erfüllung dieser Pflicht schrieb Victor Hugo dann im Sommer 1841 eine Abhandlung, die er zusammen mit den Reisebriefen im Frühjahr 1842 herausgab. In dem für beide Teile gemeinsamen Vorwort schildert er eindringlich, wie stark der Rhein ihn zum Nachdenken angeregt habe — „dieser Fluß, von dem jedermann redet und den niemand studiert, den jedermann besucht und niemand kennt, und der im Schimmer seiner Fluten die Gegenwart und die Zukunft Europas erkennen läßt". Und als Hauptergebnis seiner Erkenntnis sagt er schon hier:
„Der Rhein ist viel französischer als die Deutschen denken und die Deutschen sind Frankreich viel weniger feindlich als es die Franzosen glauben. . . . Deutschland ist in meinen Augen die natürliche Mitarbeiterin Frankreichs. Ich glaube, das richtig eingeschätzt und so gesehen zu haben, wie es wirklich ist. Ich will nicht verbergen, daß Deutschland ein Land ist, das ich liebe, und ein Volk, das ich bewundere: ich habe fast ein Sohnesgefühl für dies vornehme und heilige Vaterland aller Denker. Wenn ich nicht Franzose wäre, möchte ich Deutscher sein."
Es würde hier zu weit führen, im einzelnen aus den Reisebriefen die deutschfreundliche Gesinnung des Verfassers zu belegen; dieses erübrigt sich auch, weil er in dem „Conclusion" überschriebenen Anhang zu den Reisebriefen, eben jener besonderen Abhandlung, sich zusammenfassend äußert. Er holt weit aus, indem er die Stellung der europäischen Mächte jeder Ordnung seit dem Beginn des siebenzehnten Jahrhunderts (jener Zeit, „in der das militärische Frankreich eine große Rolle in Europa spielte, während England für die Festlandmächte nur eine mit inneren Unruhen beschäftigte große Insel war") und ihr Werden und Vergehen bis zur Gegenwart betrachtet. England ist inzwischen die Herrscherin der Meere geworden, andere Mächte haben ihre Weltgeltung eingebüßt. Und ihr Schicksal hat ihm eine Warnung für England eingegeben, daran zu denken, wenn es seine Weltherrschaft ins ungemessene auszubreiten strebe. Dabei weist er auf die Voraussage eines im Jahre 1617 in Paris erschienenen Büchleins hin, das wörtlich sagt:
„Manche glauben, daß ein Reich nicht von langem Bestände sein kann, wenn seine Länder derart getrennt und verstreut sind, daß man ungeheure Mittel aufwenden muß, um überall hin Schiffe und Menschen zu schicken. Und sie glauben, daß die Eingeborenen dieser Länder sich endlich über die geringe Zahl des Herrschervolkes Rechenschaft geben könnten, um den Mut zu fassen, sich gegen sie zu verbinden und sie zu vertreiben."
Victor Hugo fügt seinerseits hinzu, England müsse folgendes bedenken: „Die Gebrechlichkeit einer Nurseemacht, die auf den Wellen des Ozeans throne — die Zerstreutheit und der mangelnde Zusammenhang seiner Länder und das Bestreben der Kolonien, selbstständig zu werden auf feiten der Beherrschten gefährde Englands Macht. Dasselbe bewirke auf feiten des Herrschervolkes unversöhnliche und tiefe Selbstsucht und eine unmoralische, hier gewaltsame und