Italien am Scheidewege
lichkeit, die Kunst seiner Überzeugungsgabe und die innige Freundschaft, die ihn mit den leitenden Kreisen Italiens und den aufgeklärteren Teilen des italienischen Volkes im allgemeinen verbindet, in Rom zum Vorteile der Dreibundstaaten geltend zu machen. Der vierte Reichskanzler hat sich als guter Patriot, seiner geistigen und diplomatischen Kraft bewußt, dieser Ausgabe ohne Weigerung unterzogen, denn jeder gute Deutsche kämpft heute an der Stelle, die ihm die Vorsehung zugedacht hat. Eine völlige Verkennung der Verhältnisse ist es aber, wenn ihm von mancher italienischen und anderer deutschfeindlichen Seite, vor seiner endgültigen Ernennung bereits, warnend und zum Zwecke der Einschüchterung bedeutet wurde: an diese seine Aufgabe sei der Triumph oder der Zusammenbruch seiner politischen Größe geknüpft. Selbst wenn Bülow den Verhältnissen unterliegen sollte, was ja auch einem Titanen widerfahren kann, wenn ihm hinterrücks ein Seil um die Füße gelegt wird, während er mit kräftiger Faust seinen Gegnern Schach bietet, bleibt er für uns, was er war: ein unvergeßlicher Schmied guter deutscher Einheits- und Auslandspolitik, und was er augenblicklich ist — der tapfere Verteidiger einer gefährlichen Bresche in der Festung des europäischen Gleichgewichts. Zwei Vorteile hat er jedenfalls bereits vor seinen Feinden voraus: als die drohenden Einschüchterungsversuche, die auf die Gefährdung seines politischen Ruhmes hinwiesen, seine Ernennung zum Botschafter nicht zu hintertreiben vermochten, versuchte man, seine und unsere Haltung gegenüber Italien und Osterreich dadurch zu einer zweideutigen zu machen, daß man die Ente in die Welt setzte, er brächte Italien als Geschenk für die weitere Aufrechterhaltung seiner Neutralität in den Falten seines diplomatischen Überrocks das heißbegehrte Trient mit. Den plumpen Züchtern dieser Ente wurde alsbald aus der Wilhelmstraße der kalte Wasserstrahl einer verdienten Abfertigung mit den Worten zuteil, Deutschland könne nicht verschenken, was es nicht besitzt. Und so war man zum zweitenmal auf den Mund geschlagen. Aber jener Gedanke kam dennoch der Wahrheit nahe: allerdings haben wir keine fremden Gebiete zu verschenken, aber um eine Austragung des Gebietszwistes zwischen Italien und Österreich-Ungarn, sei es in Südtirol, sei es an der Adrwtischen Küste, dreht sich die ganze Frage, dreht sich auch die Aufgabe, die Fürst von Bülow in friedlicher Form zu lösen haben wird. Italien soll befriedigt werden, ohne daß unser Bundesgenosse verletzt wird. Es scheint dies augenblicklich ein Labyrinth zu sein, ein Tasten an dessen Wänden, um den richtigen Ausweg zu finden. Vorhanden ist dieser Ausweg, und Fürst von Bülow wird und niuß ihn finden, denn von ihm hängt das Wohl und Wehe dreier Nationen ab, die schlecht und recht bisher zusammengewirkt haben, deren Zusammenhalten Europa vor mancher bösen Klippe bewahrt hat.
Italien, das heißt diejenigen Kreise, die zum Kriege drängen, aber deshalb durchaus noch nicht an Frankreich verkaust sind, leiten den Vorwand für ihre nationale Unzufriedenheit von dem vermuteten, bis jetzt aber noch nicht be--