Reichsspiegel
(vom 23. bis 29. April)
Aus j)reußen und Deutschland
Kampf gegen den Umsturz — Die Sozialdemokraten Mittel zu ihrer Bekämpfung — Wahlrechtsreform in Preußen — Ansiedlungswcrk gefährdet — Bauernlegen — Jesuiten- erlasz — Die Dnellfrage — Ehrengerichte — Ihre Gefahren für den Reserveoffizier
Neben den Verhandlungen über die Wehrvorlage haben die Kämpfe der Parteien untereinander und die Stellung des Herrn Reichskanzlers dazu die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Bemühungen des Kanzlers sind nach wie vor darauf gerichtet, alle bürgerlichen Parteien miteinander auszusöhnen, um mit ihnen gemeinsam den „Kampf gegen den Umsturz" aufnehmen zu können, womit die Bekämpfung der Sozialdemokratie gemeint wird. Daß ein solcher Kampf notwendig ist, zeigen erneut Vorgänge wie die Ablehnung der Wehrvorlagen durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, ebenso wie das Auftreten des Abgeordneten Dr. Liebknecht im Landtage; das Eintreten für die Aufhebung des Jesuitenerlasses müssen wir auch hierher rechnen, weil es allein durch den Wunsch gerechtfertigt erscheint, dem Bestände des Vaterlandes zu schaden. Nur darüber gehen die Ansichten auseinander, wo der Kampf anzusetzen hätte. Unsere Konservativen wollen mit Ausnahmegesetzen und Verstärkung der Polizeigcwalt vorgehen; die Liberalen, denen es auf eine reine Machtpolitik nicht ankommt, erstreben die Beseitigung der Ursachen, die so viele deutsche Staatsbürger in die Arme der sozialdemokratischen Partei getrieben haben; sie erhoffen davon auch rückwirkend eine innere Umwandlung dieser Partei.
Die Sozialdemokraten sind sich wohl bewußt, daß sie den Einfluß auf die Massen, insbesondere auf die unreife Jugend, nur solange behalten, als sie absolute Oppositionspartei bleiben. In den Köpfen der Verständigeren unter ihnen hat es längst gedämmert, daß ein Gebilde wie der preußische Staat nicht wie ein Kartenhaus umzublasen ist. Dieser in Jahrhunderten erstarkte Organismus, der den Siebenjährigen Krieg und das napoleonische Unwetter vertragen, der die Vormacht im Deutschen Bunde und dann im Deutschen Reiche werden konnte, ist unzerstörbar, solange er sich nicht selbst zerstört. Darauf aber zielen die Führer des Radikalismus innerhalb der Sozialdemokratie hin. Ihr Verhalten hat keinen anderen Zweck, als die Gegner von rechts zu reizen und zu Unvorsichtigkeiten zu veranlassen. Darum ist es doppelt zu bedauern, wenn ihnen diese ihre Absicht gelingt und, in Wechselwirkung mit dem Treiben der Sozialdemokraten,