(Llsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus
von m. Wintcrberg-Straßbnrg i.
m April dieses Jahres wurde in Heft 16 der Grenzboten die Gründung, Entwicklung und politische Bedeutung des elsaßlothringischen Zentrums besprochen. Die Abhandlung kam zu dem zusammenfassenden Urteil, die Zentrumsbewegung, die ursprünglich auch vom politischen Gegner als eine Förderung des Deutschtums in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte, habe durch eigene Schuld des reichs- ländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schutz antideutscher und undeutscher Bestrebungen gelte, und daß dieser Vorwurf zu Recht bestehe, so lange die Partei sich nicht entschließen könne, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen, d. h. die Nationalisten aus ihren Reihen zu entfernen.
Das elsaß-lothringische Zentrum hat sich gegen eine derartige Beurteilung seines politischen und nationalen Charakters zwar stets zur Wehr gesetzt und das Bestehen einer nationalistischen Richtung innerhalb seiner Organisation bestritten, aber die Ereignisse, die seit der Annahme der Verfafsungsreform im politischen Leben Elsaß-Lothringens eingetreten sind, haben schneller, als man erwarten konnte, die Richtigkeit jenes Urteils bestätigt.
Aus der Mitte des elsaß-lothringischen Zentrums, gefördert von der Mehrzahl seiner Abgeordneten, ist im Juni dieses Jahres, wenige Tage nach der Annahme des Verfassungsgesetzes, ein neues Parteigebilde hervorgegangen, das unter dem Namen „Elsaß-lothringischer Nationalbund" alle Elemente der alt- elsaß-lothringischen Bevölkerung zusammenfassen will, die in der bewußten Ablehnung jeder innigeren Verschmelzung mit dem Deutschen Reiche und dem Deutschtum, dasür aber in um so innigerer Pflege aller kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Beziehungen zu Frankreich das Heil des erträumten autonomen Staates Elsaß-Lothringen erblicken.
Grenzboten III 1911 68