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Hermann Bahr
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Hermann Lcchr

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Bühnenerfolg zu verdanken. In dein LustspielDas Konzert", das auch wieder Erotisches behandelt eines berühmten Musikers eheliche Untreue aus Gewohn­heit und Geschäftsnotwendigkeit, dazu allerhand Hysterie, hält der modernen Wirrnis so etwas wie Raimund-Stimmung die Wage, ja einmal, als sich Pianist und Bauer über die Abnahme ihrer Jugendkraft elegisch unterhalten, klingt das Brüderlein fein" sogar recht vernehmlich durch. Und wenu nicht die Raimundsche, so doch die angesäuerte Gemütlichkeit Nestroys machtDie gelbe Nachtigall" wirksam, eine scharfe und doch auch bewundernde Verspottung des als Handel mit Sensationen, aber erstaunlich kraftvoll als Großhandel betriebenen Theater­unternehmens, wozu sich Bahr Anregung und Modelle offenbar aus Berlin geholt hat.

Man könnte die Frage auswerfen, was deu Autor, der sich im Essay freier bewegt als im Drama, doch immer wieder zum dramatischen Gestalten drängt, den Mann, der sich nach wachem, wirklichem Leben sehnt, immer wieder zur Betrachtung des Theaters, der Scheinwelt also. Glaubt der Schaffende in der Bühne eine noch bessere Kanzel zu finden als im Journal; ist der Betrachtende von der spezifisch wienerischen Theaterleidenschaft besessen, die ihren Gruud wohl dariu hat, daß durch lange Zeit eben das Theater der einzige Ort war, wo der Wiener buntes und starkes Leben fand? Dies beides wird wohl der Fall sein, doch Bahr ergrübelt für sein Verhalten noch einen anderen Grund. Er bringt seinePhilosophie des Impressionismus" ins Spiel. Nicht das Drama, zum mindesten nicht die Tragödie ist es, die ihn zum Theater zieht. Er vertieft den aristotelischen Begriff der Katharsis im modern-ärztlichen Sinn. In den Griechen, so sagt er imDialog vom Tragischen", schlummerten noch die Triebe des ungebändigten Urmenschen. Die Kultur hemmte die Befriedigung solcher Wildheiten; so war eine künstliche Ableitung der Gestauten notwendig, weil unterdrückte Triebe zu schwerem Erkranken führen; und diesen medizinischen Prozeß besorgt eben die Tragödie. Heute ist die ursprüngliche wilde Natur im Menschen erstorben; da braucht er auch deu Ableitungsprozeß nicht mehr die Tragödie ist überflüssig. Aber desto wichtiger ist der Schauspieler. Er ist das Vorbild der impressionistischen Menschen, der vom einen Ich erlösten, er ist heute abend dieser und morgen abend jener und dazwischen, am lichten Tage, vielleicht ein Nichts, ein leeres Gesäß.

Und so erfüllt ist Hermann Bahr von diesem seltsamen Wert des Schau­spielers, daß er an den Anfang seines ihm selber bedeutsamsten Werkes nichts Besseres zu setzen wußte, als die Darstellung des Schauspielers in seiner impressionistischsten Form, des leeren bei Tage und des ewig anders beseelten ans der Bühne. Hermann Bahr beabsichtigt in einer Reihe lose zusammen­hängender Romane die ganze gegenwärtige Menschheit, wie er sie sieht, in ihren typischen Vertretern zu schildern. Von den drei bisher erschienenen Bänden stellt der erste eine Schauspielerin,die Nahl", iu den Mittelpunkt und ist auch nach ihr betitelt, der dritte,O Mensch", bringt wiederum einen Mann der Grenzbvten m 1911 23