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Maßgebliches und Unmaßgebliches
denen unser deutsches Volk wandeln soll, um eine Stellung unter den Völkern einnehmen zu können, die ihm, seinen geistigen und Physischen Kräften entsprechend, zu Recht zukommt, wobei besonders, unser deutschnationales Volkstum im Gegensatz zu den internationalisierenden Bestrebungen, welche unsere gesunde völkische Eigenart zu verwischen drohen, zu betonen ist." Ein junger deutscher Fürst hat hier einen Gedanken in Worte gekleidet, den Millionen deutsche Männer und Frauen hegen und den nur unverbesserliche Phantasten, die eine Verwischung aller Rassen- und Völkermerkmale für möglich halten, von sich weisen. Die Bedeutung der Worte liegt somit nicht in der Neuheit oder Eigenart des Gedankens, sondern in der Tatsache, daß sich der künftige Erbe der deutschen Kaiserkrone offen zu ihm bekennt. Für uns, seine Zeitgenossen und spätern Untertanen, ein erfreuliches Bekenntnis, da wir in dem Gleichklang der Empfindungen beim Träger der Krone und bei der Nation die einzige sichere Bürgschaft für das Gedeihen des Vaterlandes sehen. Aber nicht nur im Hinblick auf die fernere Zukunft ist der Ausspruch des Kaisersohnes von Bedeutung. Auch für die Richtung unserer gegenwärtigen Politik bildet sie ein Symptom, dessen wir uns nur freuen können. Sie ist eine Ergänzung zur Rede des Kaisers in Posen, die wir zuletzt an dieser Stelle besprachen. Sie nimmt manche Bedenken fort, die noch vor einer Woche am Platze waren. Die Bezeichnung Posens als Hort deutscher Kultur, unterstrichen durch den Wunsch des Kronprinzen, die deutsche Wissenschaft solle uns die Wege zeigen, wie wir unsere nationalen Eigenschaften am besten entwickeln könnten, bedeutet uns keine bloße Aufforderung zum Frieden mehr, wo der Sieg noch nicht errungen, sondern einen ernsten Hinweis auf die Notwendigkeit zu kämpfen. Es ist darum völlig unverständlich, wie ein sonst national geleitetes Blatt aus den beiden Reden einen Gegensatz zwischen Kaiser und Kronprinz folgern konnte. Selbstverständlich hat es auch an Stimmen nicht gefehlt, die aus des Kronprinzen Worten einen kulturwidrigen Chauvinismus heraushören wollen. Das „Berliner Tageblatt", das kürzlich treffend als der Haupternährer des Antisemitismus bezeichnet wurde, versteigt sich zum Beweise dafür sogar dazu, eine Rede zu zitieren, die Kronprinz Friedrich Wilhelm am 6. Juni 188S an die studierende Jugend gerichtet hat. In der Rede heißt es:
„Die Gefahren fremder Art und fremden Wesens für das geeinigte Vaterland haben wir, wie mir scheint, für unser, so Gott will, immer mehr erstarkendes Staatswesen nicht zu fürchten. Sicherlich dürfen wir mit berechtigtem Stolz uns dessen rühmen, was nnser Volk unter der glorreichen Führung seines Kaisers geleistet. Aber sorgen wir dafür, daß jede Überhebung uns fernbleibe. Eine solche ist undeutsch, und für ihre Betätigung in dem Tone und Sinne, den wir bei anderen Nationen oft bitter getadelt, fehlt uns sogar der Ausdruck, den wir erst einer fremden Sprache entlehnen."
Auch zu diesen Ausführungen vermögen wir in der Ansprache des Kronprinzen keinen Widerspruch zu finden. Denn beide Reden geben lediglich dem Wunsche Ausdruck, daß das Beste gefunden werden möge zur Hebung und Kräftigung der Nation. Nur fordern verschiedene Zeiten und Umstände auch verschiedene Mittel, um dasselbe Ziel zu erreichen. Vor fünfundzwanzig Jahren, als sich unsere Kolonialpolitik nur langsam zu entwickeln begann, als wir in kleinstaatischer Selbstüberhebung glaubten, die ganze Welt schulmeistern zu können, als es möglich war, daß ein Ahlwardt sich „Rektor aller Deutschen" nennen konnte, damals tat eine Erinnerung im Sinne der Worte des damaligen .Kronprinzen ebenso not, wie heute die Warnung vor dem Gegenteil.