Contribution 
Agnes Miegel
Page
441
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

Agnes Miegel

441

Die Dichterin fühlt im Nachgenuß schmerzlich-süßer Vergangenheit, wie die rote Rose Leidenschaft" jäh in ihre schmalen, kühlen Kinderhände fiel. Und dann wird das Weib in ihr reif, und ihr Gebet heißt nun, es möge am Ende ihrer Wanderschaften, am Gartentore ihrer wartend, ein Kind stehn, das ihre Züge trägt. Mit einem Laut, der hier zum erstenmal in unsrer Dichtung tönt und etwas ganz andres ist als die viel berufene Erotomanie gleichzeitig aufgetretener, unkünstlerisch aufgepeitschter Modefrauen, klingt Agnes Miegel nun das Lied vomUngeborenen Leben":

Und wenn so wann die Sonne scheint, Wenn sich so sroh die Blüten heben, Dann nnter meinem Herzen weint Bittend das ungeborene Leben:

Du gehst im hellen Sonnenlicht Und freust an Rosen dich und Garben. Doch meiner Sehnsucht denkst dn nicht Und läßt mich tief im Dunkeln darben.

Und doch wär' froher dir zu Sinn, Und schöner dünkte dich die Erde, Kläng' süß mein Lachen drüber hm, O komm, und sprich zu mir dasWerde"!

Ich bin ein Händchen, weich und rund, Das oft schon deine Träume kuszten; Ich bin ein rosiger Kindermund, Der dürstend sucht nach deinen Brüsten.

Ich bin ein Seelchen, fein und traut, Das heisz berlangt nach deiner «eelen; Bin eines StimmchenS Zwitscherlaut Und will so vieles dir erzählen.

Sich nicht, wie hell die Sonne scheint, Sieh nicht, wie sich die Blüte» heben, Hör', wie in deinen? Schoße weint Bittend das ungeborenc Leben."

Die Phantasie von Agnes Miegel wandert auf diesen Pfadeil zu den süß­tragischen Liebesgestalten der Vergangenheit. Agnes Bernauerin steht wieder vor ihr auf:

Sie sangen am Herd, als die Flamme schied- Es ist eine Ros' entsprungen", Sie sprachen zu ihr, als verklungen das Lied: Was hast du nicht mitgesungen?"

Sie aber hat nicht singen können und spricht wie schlafend ihren Traum vor sich hin, den Trcmm von den roten Wellen der Donau:

Sie trugen mir zn in schaukelndem Tanz Eine Krone, sternbeschienen, Und Wie ich sie hob, war's ein Sterbekranz Von welkenden Rosmarinen.

Grcnzbotcn III 1910