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Schiller und Hcbbel
werfen muß. Wenn Schiller eine Vereinigung des antiken Fatalismus mit der Forderung der sittlichen Freiheit erstrebte, so ist er in der „Jungfrau" sicher darin , am weitesten gekommen, völlig geglückt ist sie ihn: aber auch in ihr nicht: es ist der Widerspruch, der zwischen der sittlichen Weltidee und dem Individuum besteht, nicht klar genug herausgekommen, insofern Johanna an jedem Punkte nur als die Gottgesendete erscheint. Und nur durch die Entwickelung ans jenem Widerspruche heraus entsteht eine wahrhaftige Tragödie. Und so zeigt am Ende auch die „Jungfrau", daß Schiller vou „der Kunst, zu individualisieren, zu wenig besaß". Uud wir wisseu nicht, ob nicht Hebbel auch darin das Richtige traf, wenn er jene Vereinigung nur als die Folge eines inneren Mangels bei Schiller bezeichnete. Es kommt ihm ja anch, trotz großer Anläufe, nie so sehr darauf an, die Erhabenheit des Weltgeschehens zu gestalten, als vielmehr nur im Zuhörer Rührung zu erzeugen, was auch aus seinen ästhetischen Aufsätzen genugsam zu erhärten wäre. Er kennt auch keine Notwendigkeit, daß das Individuum leide. Und Rührung oder Mitleid reichen doch wohl nicht aus, den Menschen durch das Geschick zu erheben, wenn es ihn zermalmt. Aber der „schöne" Mensch in Schiller, den wir in der bürgerlichen Sittlichkeit wurzelnd erkannten, ist nicht, wie der elementare Hebbel, fähig, sich zn einer derartigen Erfassung des gigantischen Schicksals zu erheben.
Der Theaterdichter in Schiller schreibt den fünften Akt der „Juugfrau". Für ihu bestand die Notwendigkeit, die in Schuld gefallene Jungfrau zu „retten", denn er steht noch durchaus auf dem alten Begriff der Schuld als Sünde, und Johanna, als die Heilige, ist, weil sie liebt, in Sünde gefallen. Er weiß nichts davon, daß „das Leben als Vereinzelung, die nicht Maß zu halten weiß, die Schuld nicht bloß zufällig erzeugt, sondern sie notwendig miteinschließt". Sein ethischer Idealismus kennt die Schuld nicht, die schon mit dem Jnslebentreten und Wollen des Individuums, das seiner Natur nach einseitig, selbstsüchtig sein muß, um überhaupt bestehen zu können, gegeben ist. So ist denn auch die „Jungfrau" keine Tragödie, sondern zuletzt nur noch ein Charakterdrama. Und wenn die Heilige zuletzt stirbt, so geschieht dies ohne jegliche Notwendigkeit, nur durch den Zufall der Schlacht, und hat mit Tragik nichts mehr zu tun. Es geht jetzt kaum noch an, zum Vergleich auf Hebbels Judith hinzuweisen, die nach ihrer Tat erkennen muß, „daß die Strafe für den Bruch der göttlichen Ordnung in den Händen des göttlichen Geschicks liegt, denn Gott vermag, daß aus ihrem Schoße der Rächer entstehe".
Jenem Zwange der Notwendigkeit geht Schiller dadurch aus dem Wege, daß er stets in das Idealistische einlenkt, und da wir nur dort Tragik sehen, wo ein Held notwendig untergehen muß, können wir keinem seiner Dramen den Begriff der Tragödie zugestehen. So ist seine Maria Stuart nur das „leidende Weib" und keine tragische Persönlichkeit, wie es Hebbels Agnes Bernauer eine ist. Erschüttert stehen wir hier und beugen uns unter das elementare Gesetz, das die Allgemeinheit für sich fordern muß. Ausgeklügelt erscheint nur, daß