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Die Entstehung der Religion
schränktere sein", worauf dann der katholische Heiligenkult als zweites Beispiel eines solchen monarchischen Polytheismus erwähnt wird. Hier ist zunächst übersehen, daß es nicht etwa die kanacmitischen Naturgötter wie Moloch und Ascheera sind, die, vom mächtigern Jahwe besiegt, dessen Hofstaat ausmachen müßten — die sind als Nichtse aus dem Vorstellungskreise der Religionsbildner, der Propheten, verbannt —, sondern die erst in der Zeit der Gefangenschaft aus der Zendreligion übernommenen Engel und Teufel. Sodann: die jüdische Volksreligiou jener Zeit mag tatsächlich Polytheismus gewesen sein, wie es zweifellos heute noch der Katholizismus der Kalabrcsen ist — ein vom Herzensbedürfnis naiver Menschen geforderter Polytheismus, wie Wundt richtig bemerkt. Aber zwischen der jüdischen und christlichen Theologie und dem Polytheismus besteht ein Wesensunterschied von höchster Wichtigkeit. Indem die vielen himmlischen Wesen als Geschöpfe und Diener des einen allbcherrschenden und allmächtigen Gottes und alle ihre Handlungen als Vollstreckungen des einen vernünftigen Willens dieses Gottes gedacht werden, wird ein gesetzlich verfahrender Weltwille statuiert, dessen Ordnung kein andrer Wille zu durchbrechen vermag. Und das ist von weltgeschichtlicher Bedeutung, denn damit ist der Begriff des Naturgesetzes gewonnen und wirkliche Wissenschaft möglich geworden. Und darum hat nur die christliche Welt wirkliche Wissenschaft. Solche ist schon die Scholastik gewesen, die das richtige Prinzip hatte; nur ihre Methoden waren zum Teil falsch, und in die heutige Bahn zu gelangen, wurde sie durch die Mangclhaftigkcit ihrer Beobachtungen, durch die Dürftigkeit ihrer Naturerkenntnis gehindert. Daß der Fortschritt zu diesem, wie er meint noch im Polytheismus steckenbleibenden Monotheismus immerhin ein Fortschritt gewesen sei, erkennt Wundt an, und auch die Verkörperung des Bösen in einer Persönlichkeit, also der Glaube au Teufel, bedeutet ihm einen Fortschritt, als „Symptom eines höher entwickelten ethisch-religiösen Bedürfnisses. Denn nicht bloß dem vorreligiösen, sondern auch dem beginnenden religiösen Kultus sind diese persönlichen Verkörperungen des Bösen zumeist noch unbekannt. Er kennt nur böse Dämonen. Der persönliche Teufel in seinen verschiednen Gestalten ist aus dem Bedürfnis geboren, die Hemmungen des sittlichen Strebens, vor allem die, die aus eigner Verschuldung entspringen, ebenso wie die Ideale des Guten als persönliche Wesen sich gegenüberzustellen"; die dann ebenfalls zu einem Staate oder Reiche geordnet und einem Alleinherrscher untergeben werden. Sehr schön und meiner Ansicht nach vollkommen richtig wird das Verhältnis der Religion zur Sittlichkeit bestimmt. Zunächst wird die einseitig metaphysische Erklärung des Ursprungs jener ebenso zurückgewiesen wie die einseitig ethische. Die Religion wurzelt sowohl im metaphysischen Bedürfnis wie in der ethischen Anlage des Menschen. Ethos und Religion aber entsteh» uuabhäugig voneinander. Jenes aus dem Kampfe der egoistischen mit den sozialen, den sympathetischen Trieben und Neigungen. Aus dem wechselnden Spiel widereinander streitender Affekte bildet sich „eine