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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Übertreibungen, die gegen ihre ursprünglichen Vorschläge ins Werk gesetzt worden sind, ertragen hciben, werden sie das weitere cinch ertragen. So retten sie wenigstens ihre Autorität, die sonst unwiderbringlich dahin sein würde.

Das wüste Treiben in der Kommission, die jeden noch so unüberlegten, gar nicht auf seine Wirkungen hin geprüften Vorschlag sofort mit Hurra annimmt, wenn er nur aus der Mitte der konservativ-klerikalen Mehrheit kommt, hat, wie nicht zu leugnen ist, mehr als die ganze bisherigeArbeit" des Reichstags an der Reform in weitern Kreisen die Empfindung verstärkt, daß die Regierung die Dinge gehn lasse, wie sie gehn wollen, und deshalb finden mehr als bisher die Behaup­tungen Glauben, Fürst Bülow richte sich allmählich darcmf ein. die Sache tatsächlich mit der neuen Mehrheit zu machen. Wir haben guten Grund, anzunehmen, daß diese Auffassung nicht richtig ist. Fürst Bülow hat allerdings höchst wahrscheinlich die nicht haltbare Annahme zurückgewiesen, er werde eine sachlich annehmbare Lösung nur deshalb zurückweisen, weil sie ihm nicht von der Blockmehrheit geboten würde. Aber dieser Fall ist bis jetzt nicht eingetreten und wird anch, wie wir gesehen haben, wohl kaum eintreten. Diese Feststellung hat also nur theoretischen Wert. Für die Voraussetzung jedoch, Fürst Bülow werde sich darauf einlassen, Vorschläge, die die verbündeten Regierungen uach ihren wohlerwognen Grundsätzen verwerfen müßten, aus den Händen einer neuen Mehrheit entgegenzunehmen, unr um diese Mehrheit nicht mit der Verantwortung für das Scheitern der Reform zu belasten für diese Voraussetzung fehlt bis jetzt jede Unterlage. Ob es zweckmäßig war, das formelle Eingreifen der Regierung, wie es in der Einbringung von Ersatzvorlagen für die in der Kommission abgelehnten und darum wahrscheinlich aussichtslosen Steuern liegt, so lauge aufzuschieben, bis der Umfang der negativen Leistungen der Kommission in seiner ganzen Größe offenbar geworden war, darüber kann man dielleicht verschiedner Meinung sein. Vielleicht hätte der Eigenart des freien deutschen Mannesbewußtseins, das ja immer nach der Regierung schreit wie der Säugling nach der Mutterbrust, mehr Rechnung getragen werden können. Es ist l'a auch eine harte Geduldprobe für einen vaterländisch empfindenden Mann, dieses Treibe» in der Kommission mit anzusehen. Aber es ist doch die Frage, ob auf einem andern Wege mehr zu erreichen gewesen wäre, und so ist es alles in allem doch wohl das klügste und beste gewesen, den Weg zu wählen, der zweifellos der derfasfungsmäßig allein korrekte war.

In der Kommission hat sich die Lage inzwischen derart zugespitzt, daß die Parteien der Linken ihre weitere Beteiligung an den Beratungen versagt haben. Für diesen Schritt lassen sich ja gewichtige Gründe anführen. Die Mehrheits­parteien hielten es kaum noch für nötig, wenigstens den Schein einer sachlichen Prüfung der Anträge auf ihre Ausführbarkeit und Zweckmäßigkeit aufrecht zu erhalten. Vollkommen unreife, in ihren Folgen und ihrer Ausführung gar nicht zu beur­teilende Vorschläge wurden unbesehen angenommen, nur weil sie taktisch ihren Zweck erfüllten. Daß sie nicht Gesetz werden können, ist von vornherein klar; denn so tief sind wir doch nicht gesunken, daß der Bundesrat eine Gesetzmacherei gutheißen könnte, deren einziger ernster Zweck nur eine Parteidemonstration ist. Daß sich die Parteien der Linken unter solchen Umständen dagegen sträubten, sich «ur verhöhnen zu lassen, wird man verstehn. Dennoch läßt sich bezweifeln, ob nicht die Liberalen trotz alledem besser getan hätten, auch unter diesen bittern Um­ständen ihre konstitutionelle Pflicht weiter zu erfüllen uud auf ihrem Posten weiter Zu kämpfen. Denn schließlich das werden die Liberalen selbst natürlich nicht zugeben wollen ist doch die trostlose Lage zu einem guten Teil von den Liberalen mit verschuldet worden. Und auch sonst sind Fehler von ihnen gemacht worden. Freilich ist es ein unerhörter Vorgang, daß in Form von Anträgen zu den Vorlagen ganz neue Steuern in der Kommission zur Verhandlung kommen,