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Heimfahrt
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Heimfahrt

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Aushalten im Sonnenbrand allstündlich einige Kreuzer verdiente. Derweil konnte sein Auftraggeber im Gasthause bleiben und war gewiß, rechtzeitig benachrichtigt zn werden, wenn sein Name aufgerufen wnrde. Lemberger war noch mitteljährig und rüstig, trug einen^ vielgerauften Ziegenbart nnd einen zu weiten, vielgeflickten Kaftan, der ihm beim Überschreiten der russisch-galizischen Grenze noch glatt und prall um den Körper gelegen hatte. Seit dieser Zeit hatte Lemberger aber rasch abgenommen, und zwar in demselben Verhältnis, wie er die kleinen, feinen, flach gepackten Zigaretten loswurde, die er in den Wirtshäusern auf der Reise anbot. In Wolmiersz hatte er gleich nach seiner Ankunft ein Schaffell zu verkaufen, das er unterwegs zufällig in einem Dorfe erstanden und mehrere Stunden lang in Staub und Hitze mit sich geschleppt hatte. So wußte er immer etwas zu finden, was einen kleinen Vorteil abwarf, und sein Sohn Mandel, der ein einfacher Schuhmacher war, mußte sich von dem ältern Manne beschämen lassen.

Immer wieder wurden Namen aufgerufen, die nicht zu Sinai Tulpenblüts Pilgerzuge gehörten, nnd die Gesichter, die e? bei seinem Eintreffen auf dem Markt­platze vorgefunden hatte, waren trotz der beständig abziehenden kleinen Gesellschaften noch nicht alle verschwunden. Seine Hoffnung, am heutigen Tage noch vorgelassen zu werden, versank. Morgen aber mußte man unter allen Umständen vor der Sonne aufbrechen, um die Gebirgswanderung bis zum Eintritt des Sabbats zu beenden und womöglich mit der Eisenbahn noch Budapest zu erreichen, wo bei der Agentur der ^Hianos israÄits neue Reiseunterstützung in Empfang zu nehmen war. Man mußte schon froh sein, wenn es gelang, dem Heiligen den Papierstreifen zuzuwerfen.

Müde vom langen Stehen übergab Sinai diesen seinem Schwiegersohn, befahl ihm, weiter achtzugeben, nnd ging zu den Seinen, die sich aus dem Ganzen seiner Schar zu einer eignen kleinen Lagelstelle gesondert hatten. Es waren sein Weib Süßele, seine Tochter Rea, die den kranken Knaben hielt, und die Schwiegermutter Neas mit ihren Kindern, nämlich die Familie Lemberger. Sie hatten ein Plätzchen an der sonnigen Seite des Marktes erlangt und es mit Decken nnd Schirmen nach Möglichkeit verbessert. Hier verkürzten sie sich die Wartezeit so gut es ging, versuchten ab­wechselnd ein wenig zu schlafen, beobachteten das Treiben auf dem Platze, redeten mit andern die in der Nähe lagerten, und griffen zuweilen nach dem Brot, das die alte Süßele aus dem Vorratsfack selten und knapp austeilte. Es waren die ungesäuerten Mazzes des Passah, die sie um ihres gnadenvollen Andenkens willen, aber auch wegen ihrer Haltbarkeit für die Reise gebacken hatte. Sie nahmen sie aus der dürren Hand der Blinden und holten sich dazu Wasser aus der Markt­pumpe. Wären nicht die wenigen Wohlhabenden gewesen, so hätten die vier jüdischen und die zwei polnischen Schenkwirte schlechte Geschäfte gemacht.

Der Alte ließ sich auf den Boden nieder und. Reas Kleiner war weinerlich und lenkte die allgemeine müde Aufmerksamkeit auf sich, ohne daß man doch zu helfen wußte Sie suchten ihn zum Lachen zu bringen und machten aus irgend­einem Ding ein Spielzeug das ihn für Minuten über sein Ubelbefinden hinweg- iauschte. Bald aber schwammen seine schwarzen Augen wieder in Tränen. Seine s°ust so brennend roten Lippen waren blaß geworden, und er war nur noch unter Reas Liebkosungen für Augenblicke zufrieden. Es war eine arge Erschwerung der Reise, daß er gerade jetzt unwohl werden mußte. Weiter mußte man koste es, !°as es wolle'' Die junge, schöne Rea fühlte in ihrer größten Sorge erschauernd, ° man sich auch um den Preis dieses Kindeslebens nicht zurückhalten lassen werde, ^ür die beiden Alten stand zu viel auf dem Spiel sie hatten keinen Tag zu verlieren, und noch weniger würden die andern warten wollen. Sie mußten un­abwendbar heim wie die Zugvögel, wenn ihr Flug erst braust.