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Lisenkonstruktion und Eisenstil
Seitdem nun das Schmiedeeisen in Gestalt der gewalzten Prosileisen: weisen, Winkel-, U-, eisen in allmählich schärfer werdendem Wettbewerbe das Gußeisen verdrängt hat. ist auch in der Konstruktion ein Umschwung eingetreten. Gußeiserne Stäbe stellte man im Guß derart her, daß sie an den Knotenpunkten übereinander und ineinander griffen und eines Bolzens zur Verbindung bedurften. Die Verbindungen der gewalzten Profileisen werden unter gelegentlicher Verwendung von Knotenblechen, Laschen und Winkeln durch feste Nietung hergestellt. Das starre Dreieck blieb dabei das Konstruktionselement. Hohe Profile wurden als Gitterträger konstruiert. Der Vorteil lag mehr auf statischem und technischem als auf ästhetischem Gebiete. Man wurde aber jetzt, durch allmählich größer werdende Erfolge ermutigt, kühner und kühner. Es entstanden die mächtigen amerikanischen Brücken, zum Beispiel: St. Johnsfluß in Neu-Braunschwcig mit freien Spannungen von 124 Metern (im Jahre 1886). Brooklun mit 300 Metern freier Spannung, S. Lorenzstrom in Kanada mit 549 Metern Spannung (im Jahre 1907); die drei Eastrivcrbrücken in Newhork: Manhattan mit 457, Williamsburger mit 487 und die Blackwellbrücke mit 360 Metern Spannung (im Jahre 1904 im Bau); in England die Firth of Forth von John Fowler mit 520 Meter Spannungen (im Jahre 1883); in Deutschland die Rheinbrücke Köln-Deutz mit 270 Metern freier Spannung; ferner die monumentalen Bahnhofshallen, zum Beispiel Frankfurt am Main mit 56 Metern Spannung, Hamburg mit 72 Metern Spannung.
Von einer ästhetischen Durchbildung kann man bei den frühern dieser Bauten noch nicht sprechen, doch ist ihnen ein Zug ins Große eigen, der an die Kühnheit und Fortschrittlichkeit der römischen Bauweise erinnert. In der Größe dieser weitspannenden Brücken und Hallen liegt auch eine gewisse Monumentalität, und so war es denn die Kühnheit dieser Schöpfungen, die zuerst den Blick der Welt fesselte. Während die Architekten in der historischen Schule erstarrt und am Ende ihrer Gestaltungskraft angelangt schienen, bereitete sich hier ein neuer Stil vor. Es ist immerhin verzeihlich, daß man gerade bei Architekten diesem Neuen anfangs ablehnend, ja oft feindlich gegenüberstand. Die Eigentümlichkeiten der Konstruktion: die sich in allen Richtungen kreuzenden Stäbe, die Rauheit und Eckigkeit der Umrißlinien, die Nüchternheit und die Lieblosigkeit, mit der alle Einzelheiten behandelt wurden, ließen eine ästhetische Würdigung und Gestaltung fast unmöglich erscheinen. Die Parallelträger und die Halbparallelträger der eisernen Brücken zerstörten gar zu oft den lieblichen Charakter unsrer deutschen Landschaft, als daß man ein weitherziges Entgegenkommen in Künstlerkreiscn Hütte erwarten dürfen. Daß man bei vorsichtiger und bewußter Wahl eines andern Systems auch künstlerische Wirkungen in deutscher Landschaft erreichen könnte, daran dachte kein Mensch, ja man glaubte vielfach in Architekten kreisen, daß das böse Eisen an allem schuld sei, und daß das Heil einzig und allein in einer Zurückschraubung der Entwicklung, in einer Negierung des Eiseus als Baumaterial liege. Nicht nur bei Brückenbauten, sondern auch bei Hochbauten wollte man das Eisen ausgeschaltet wissen. Die Folge davon war, daß man die große Nepetition der historischen Stilarten, die man im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts nun glücklich vom hellenischen bis zum Renaissancestil durchgeführt hatte, von neuem aufgriff und nun in eine Barock-, Empire- und Biedermeiermode verfiel. Denn ein Stil kann nur allmählich durch jahrzehntelange Arbeit langsam aber mit eiserner Folgerichtigkeit und Notwendigkeit aus praktischen