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Die deutsche Shakespaereübersetzung . 2
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Die deutsche Shakespeareübersetzung

entdeckt, das ihm vorgeschwebt, das heißt den Ursprung, die Quelle seiner Vorstellung. So, um ein Beispiel aus Shakespeares Julius Cäsar anzu­führen, die bekannte Stelle, in der Cäsar zum Antonius sagt:

Laßt wohlbeleibte Leute um mich sein, Glatt-Haarige Leute und die nachts gut schlafen. Der Cassius dort sieht dürr und hungrig drein, Er denkt zuviel: die Leute sind gefährlich.

Die Übersetzung, nach der ich die Verse zitiere, ist die neuste, die vorhin erwähnte von Gundolf, und sie ist in dem Ausdruckeglatthaarige Leute" entschieden glücklicher als ihre Vorgängerinnen. Schlegel-Tieck übersetzt auch in der neuen Revision Conrads statt Glatt-Haarige Leute:Mit glatten Köpfen". Das ist etwas unverständlich, man könnte dabei auch an Glatz­köpfe denken. Was wollte nun Shakespeare selbst sagen? Er sagt slkök- lisacksä mkii, das heißt wörtlichglatt-köpsige Männer", und da sind wir so klug wie zuvor; worauf bezieht sich das Glatte? auf die Haare oder auf das Gesicht? Einer der neusten englischen Erklärer (im ^räso 8Iiecks8x6g., ^. <ü.. NaormIIan) ist wirklich auf den Einfall gekommen, es bedeute Leute mit glatten, nichtrunzligen Gesichtern! Daß aber Shakespeare dies nicht meinte, sondern glattfrisierte, schlichthaarige Männer im Gegensatz zu Krausköpfen und Struweltopfen, das geht deutlich aus der Quelle oder den Quellen hervor, aus denen dies Bild stammte, nämlich aus drei Stellen der Biographien des Cäsar, Antonius, Brutus in Norths Übersetzung des Plutarch, aus denen diese Äußerung Cäsars von Shakespeare fast wörtlich für sein Drama entnommen ist; es heißt dort in demselben Zusammenhang tnose tat rneu M<Z smootu- ooindsä usaÄs oder tnsso tat long'-uaireA inen oder tb.08s tat teUovvs imä tinö-oolnvöä MM. Also erst die Quelle für die dichterische Vor­stellung kann uns zuweilen darüber aufklären, was der Dichter gemeint hat, wenn es uns überhaupt gelingt, die Quelle zu finden. Aber suchen müssen wir sie, und zu all dem gehört Zeit, Arbeit und wieder Zeit.

Wenn es sich nun um solche Kleinigkeiten handelt, wie die genannte Übersetzungglatt-frisiert" oderglatt-haarig", stattmit glatten Köpfen", so kommt ja darauf nicht soviel an für den künstlerischen Gesamteindruck, der dem großen deutschen Publikum doch die Hauptsache ist und sein soll.

Aber es können doch recht wesentliche Mißverständnisse und Mißdeutungen Shakespearescher Charaktere, auf deren richtige Auffassung, wie sie sich Shake­speare gedacht, sehr viel, ja fast alles ankommt, sich in unsre deutschen Über­setzungen einschleichen, weil sich die Übersetzer nicht die nötige Mühe und Zelt genommen, die Überlieferung zu prüfen, und zwar die ganze Überlieferung- Wenn man sich, um die Arbeit zu vereinfachen, darauf beschränkt, die erste beste moderne Ausgabe oder etwa bloß die so sehr fehlerhafte erste Folioausgabe zugrunde zu legen, dann ist es unvermeidlich, daß man eine Fülle von Schön? heiten und Feinheiten übersieht und verwischt, daß man an zahllosen Stellen