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machen können. Wie gern hätte er auf seinen Wunsch, das Kind zu einem Gelehrten zu erziehen, verzichtet, wenn es nur am Leben geblieben, wenn nur der furchtbare Borwurf von ihm genommen wäre, daß er die Todesursache seines Kindes sei.
Die Mutter antwortet statt seiner: Gewiß, mein Helmut, du kommst zum lieben Gott und zu deinem Heilande; die fragen nur nach deinem Herzen, und das ist ja so gut!
Den Knaben schien diese Antwort zu beruhigen. Er lächelte, schloß die Augen ein Weilchen, aber immer streichelte er zärtlich seiner Mutter Hand. Endlich sagte er: Mudding, bitte, lies mir vor, vom Herrn Jesns und den Kindlein.
Die Mutter ging und holte die Heilige Schrift. Als sie die Worte las: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen ist das Himmelreich, erstickten die Tränen fast ihre Stimme, aber sie bezwäng ihren Schmerz; denn ihr Kind lächelte selig bei diesen Worten der Verheißung, und so las sie weiter, bis sie sah, daß die Ermattung den Knaben überwältigt hatte und er eingeschlummert war. Ängstlich lauschte der Vater auf die Atemzüge, sie waren kaum zu vernehmen, aber eine Flaumfeder, die er ihm an den Mund hielt, bewegte sich leise, ein Zeichen, daß der Atem noch nicht erloschen war.
Sobald die Arznei gebracht wurde, weckte mau den Kranken und gab ihm das vvrgeschriebne Maß ein. Es belebte den Herzschlag etwas, aber trotzdem übermannte ihn die Mattigkeit immer und immer wieder. Als er nach längerm Schlummer erwachte, strahlte er wie von überirdischer Freude.
Mudding, rief er, liebes Muddiug, ich habe geträumt, ich wäre im Himmel. Ach wie schön das war! Die kleineu Engel waren so lieb mit mir. Wir sangen dem lieben Gott lateinische Lieder, und denke nur, ich verstand, was sie bedeuteten. Und dann konnte ich die Sterne zählen, obwohl ihrer viele tausend waren. Und als die Engel mir sagten, daß auf der andern Seite gerade so viel wären, da wußte ich gleich, wieviel es zusammen waren. O, es War schön, Mutterchen, so schön!
Dann nach einer Weile: Mutterchen, ich will gern sterben, dann mache ich dir keinen Kummer mehr, und Herr Turner ärgert sich nicht mehr über mich, und Vater regt sich nicht mehr so furchtbar auf, daß er auch krank wird, dann bringe ich euch keine schlechten Zensuren mehr nach Hanse. Wirst du manchmal an mich denken, wenn ich von euch gegangen bin?
Alle Tage, mein Liebling, erwiderte die Mutter, du weißt wann?
Ja, zum Abendgebet, wann du den andern aus Spitta vorliest oder aus der Bibel, besonders die Stelle, wo der Herr Jesus spricht: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn ihrer ist das Reich Gottes.
Am Abend und Morgen, immer werde ich im Geiste bei dir sein, mein Kind.
Der Kleine lächelte beglückt. Dann streichelte er der Mutter Hand; denn sie war niedergekniet am Bette und hatte ihr Gesicht niedergebeugt, damit er sie nicht weinen sähe. Als sie aufblickte, sah sie, wie sich die kleine Gestalt streckte, wie sie noch einmal tief atmete, dann das Gesicht abwandte und in den Schlummer fiel, aus dem kein Erwachen ist.
Er ist von uns gegangen, sprach sie leise, indem sie ihren Mann, der ans Bett getreten war, neben sich auf die Knie zog. So verharrten sie lange und geleiteten mit ihren Gebeten die kleine Seele aufwärts zum Himmelstor, das sich weit auftat vor solchen Fürsprechern. Endlich erhob sich die Mntter und sprach mit fester Stimme: Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gelobet! Er hat uns gesegnet mit diesem Kinde uud seinem tiefen, reichen Herzen. Er hat uns geprüft, indem er es von uns nahm. Aber er hat es zu