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Die vier
haftesten Besorgnis ergriffen wurden. Seine Augen blickten starr, wie die eines Irrsinnigen umher, sein Puls schlug fieberisch, und immer uoch flog von Zeit zu Zeit ein krankhaftes Zucken durch seinen Körper. Die Mutter hatte ihn auf das Sofa gelegt, aber sie durfte nicht fort von ihm, angstlich hielt er ihre Hand fest, besonders wenn sich der Vater über ihn beugte, als ob er sich vor ihm fürchtete. Da dieser Zustand anhielt, so sah mau sich endlich genötigt, den Arzt zu holen. Der Professor ging selbst und kehrte uach einer Stunde mit dem Freunde zurück.
Da der Arzt unterwegs von allem unterrichtet worden war, so schritt er sofort zur Untersuchung des Kranken. Er schüttelte wiederholt unwillig den Kopf, als er den mit Schwielen bedeckten Rücken des zarten Knaben besah, fühlte den Puls, horchte mit dem Stethoskop auf die Lnngenbewegung und verschrieb endlich ein Heilmittel; das Rezept sei sofort nach der Apotheke zu bringen, dem Knaben aber der Trank in der vorgeschriebncn Weise zn verabreichen. Dann nahm er den Professor mit in ein andres Zimmer, weil er ihm einiges Wichtige zu sagen habe.
Mein lieber Erler, begann er, als sie allein waren, ich bedcmre dir sagen zu müssen, daß du dein Kind durch deine Züchtigung in schwere Gefahr gebracht hast. Es ist offenbar in den ersten Stadien eines Nervenfiebers, nnd dessen Ausgang ist ganz unberechenbar. Der Juuge ist mir schon längere Zeit durch seiue Blässe aufgefallen, wie aber konntest du ihn so unbarmherzig schlagen?
In, lieber Freund, du kennst meine hitzige Art. Der Juuge hat mir wiederholt schlechte Zensuren im Rechnen gebracht, ich hatte ihm im Wiederholungsfälle Strafe angedroht und mußte nnn Ernst machen, so leid es mir hinterher ist.
Wer ist sein Rechenlehrer?
Ein Dr. Turner, der im Rufe großer Strenge steht, aber den Jungen auch etwas Tüchtiges beibringen soll.
Turner? rief der Doktor aus, na, über den höre ich seit Jahr und Tag in den Familien, die Kinder ins Gymnasium schicken, nichts wie Zeter schreien. Der muß ja die armen Jungen durch seine Pedanterien entsetzlich qnälen! Hast du dich denn überzeugt, daß Heller schuld ist an den schlechten Zensuren nnd nicht Dr. Turner selbst? Zeig mir einmal sein Heft, bitte.
Der Professor willfahrte ihm, und nachdem der Doktor ein Weilchen in dem Hefte geblättert hatte, rief er aus- Aber, lieber Freund, das ist ja geradezu strafbar! Siehst du den» als Schulmeister nicht, daß der Mann seine Schüler aufs entsetzlichste schindet? Hier, schau her! Vier Seiten Hausarbeit für die kleinen Kerle, und diese Verbesserungen dazu! und die Verbessung der Verbesserungen macht zusammen wieder sechs Seiten, in Summa also zehn Seiten Arbeit für die Hausaufgabe eines einzigen Lehrers! Und das in Sexta! Da liegt der Aufgabenzettel für das neuste Extemporale. Zwölf Exempel! Ich glanbe, ich brachte das selber kaum in einer Stuude. Ja, sag mir nur, lieber Freund, warum laßt ihr euch das denn gefallen?
Etwas zögernd erwiderte der Professor: Weißt du, es ist nicht Sitte, daß sich Kollegen wegeu ihrer Methode, ihres Unterrichtsverfahrens interpellieren.
Ob Sitte oder nicht, die Sache muß anders werden! Sage mir, willst du zu dem Herrn gehn und ihn veranlassen seine Ansprüche herabzusetzen, oder soll ich es tnn?
Lieber wäre es nur, wenn du hingingst, lieber Werner; denn bei mir als einem Schülervater nnd Kollegen sieht es doch etwas eigennützig aus.
Wohl, mein Junge, ich gehe in die Höhle des Löwen. Sie haben nämlich alle eine höllische Angst vor dem Manne, Eltern wie Schüler. Man könnte ja auch direkt zum Rektor gehn nnd sich beschweren, aber da der Doktor es gut meint,