Beitrag 
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Seite
198
Einzelbild herunterladen
 

198

Maßgebliches und Unmaßgebliches

noch die freie Wahl hat, entweder dem Staatsinteresse im Sinne der alten ge­sunden Parteigrundsatze zu folgen oder vor einer Organisation wirtschaftlicher Sonderinteressen zu kapitulieren. Wie sie bei freier Wahl entscheiden wird, ist uns nicht zweifelhaft, aber es könnte sein, daß es für eine freie Wahl zu spät wird und bedingungslos kapituliert werden muß.

Aus dem Wirtschaftsleben 17. April 1909

(Liegt die gesetzliche Regelung des Depositenwesens im öffentlichen Interesse? Zweimonatsbilanzen der Banken.)

In etwa sechs bis acht Wochen wird die Bankenquetekommission aufs ueue zusammentreten, um über Punkt 6 des Fragebogens (Grenzboten Nr. 45, 1998, Seite 302) zu beraten. Man hatte die Beratung der Frage 6, die Regelung des Devositenwesens, auf später verschoben, weil sie angeblich mit den ersten fünf Fragen, die die Stärkung der Reichsbank betreffen, nichts zu tun hat. Tatsächlich wird jedoch die Stellung der Zentralnotenbank in der heutigen Volkswirtschaft durch die Entwicklung der Depositenbanken fo stark beeinflußt, daß man Punkt 6 als den für die Reichsbank wichtigsten Punkt des Fragebogens bezeichnen kann. Wir haben in London das warnende Beispiel. Die Gesetzgebung beabsichtigte dort, der Bank von England eine überragende Stellung im Bankwesen einzuräumen. Die Entwicklung des Depositenbankwesens hat jedoch diese Absichten vollständig durch­kreuzt und die Bank von England heute zu einem in mehrfacher Beziehung reform­bedürftigen Institut gemacht. Handels- und Bankkreise sind in England in der letzten Zeit mit zahlreichen Reformvorschlägen auf den Plan getreten, die teils eine direkte Stärkung der Zentralbank, teils eine Reformierung des Privatbankwesens bezwecken. Ein Grundübel des englischen Bankwesens, das Halten zu geringer Barvorräte, soll bekämpft werden. Das Metallfundament für das von den Banken errichtete bewunderungswürdige Kreditgebäude ist in England wie in Deutschland zu schwach geworden. Aus dieser Entwicklung ergibt sich für die Bankwelt ohne weiteres die Verpflichtung, der Öffentlichkeit einen möglichst weitgehenden Einblick in die Art der Geschäftsführung und den Stand des Vermögens zu gewähren.

Obwohl die englischen Banken seit langem halbjährlich und die bedeutendsten Londoner Institute auf Lord Goschens Veranlassung sogar monatlich Bilanzen veröffentlichen, gehn die Forderungen der englischen Sachverständigen doch mit Recht noch weiter. Man hält noch immer für die Banken die Versuchung, die bei ihnen konzentrierten gewaltigen Kapitalien leichtsinnig zu verwenden, für zn groß und fordert deshalb von sämtlichen Banken und Bankiers Monatsbilanzen, die auf Grund des Durchschnitts der täglichen Salden gezogen sind, um so die Möglichkeit eines künstlichen Zurechtstutzens der Bilanzen am Monatsschluß möglichst zu be­schränken. Die Weigerung der Bcmkwelt, diese Forderungen zu erfüllen, bezeichnet Withers*) als durchaus unwürdig der hohen Traditionen des englischen Bank­wesens.

In Deutschland hat man den Einfluß der zunehmenden Kapitalkraft der Privatbanken auf die Reichsbank sehr wohl erkannt, das ist erst kürzlich, wie wir im März berichtet haben, von einer ersten Autorität festgestellt worden.**) Die in den letzten beiden Jahren von allen Seiten geförderte Entwicklung des Scheck- und Überweisungsverkehrs wird in verstärktem Maße dazu beitragen, die Barbestände der Banken zu vermindern, das metallne Fundament des deutschen Kreditgebäudes zu schmälern. Der Anschluß der Staatskassen an den Giroverkehr machte im ver-

') IKö UsiwivA ol ÄOQS>, London, 1909. Zweite Auflage. S, 117. **) Man darf den Fortsetzungen der heute im Bankarchw begonnenen Veröffentlichung des Vortraget Die Stellung der Zentralnotenbanken in der heutigen Volkswirtschaft, von Dr. Karl von Lumm, mit größtem Interesse entgegensehen.