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Die Dame mit dem Orden :
(Fortsetzung)
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Die Dame mit dem Vrden

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Und die Schülerinnen! Nun, deren sanfte Gesichter sind tatsächlich verklärt vom Feuer des Patriotismus. Einmal wöchentlich kommt eine gelernte Pflegerin und hält Vorträge über Krankenpflege, und hinterher finde ich in jeder Ecke eine Schar Mädchen, die das Verbinden üben. Selbst die sittsamste kleine Maid nährt die Hoffnung, daß ihr Schicksal sie hinaus aufs Schlachtfeld führen könnte, oder daß sie auf irgendeine Weise dem Vaterlande dienen dürfe. Ich fürchte, ich halte keine regelrechten Schulstunden in diesen Tagen, aber es kommt mir vor, daß Mut, Seelenndel und Aufopferung der Aufmerksamkeit ebenso wert sind alsVorstellungs­reihen und Apperzeption".

Ein englischer Gast, der alles Japanische haßt, sagt, mein Enthusiasmus sei ein Ärgernis; aber das macht mir nichts. Mein Enthusiasmus bekommt ja eben erst die Augenzähne. Das ganze Land ist in Aufruhr, und sogar ein hölzerner Indianer würde sich mit aufregen.

Jeden Nachmittag gehn wir hinunter ans Meeresufer und beobachten die Vor­bereitungen für eine lange Belagerung, Hunderte von großen Schiffen füllen den Hafen, von den kleinen ganz zn schweigen, und Tausende von Kulis arbeiten wie tvll. Ich könnte dir manchmal Interessantes erzählen, aber ich sürchte den Zensor. Wenn er alle meine Briefe an euch entziffert, wird er am Ende des Krieges Nervenfieber bekommen.

Auf vielen solchen Kriegsschiffen besorgen Frauen das Kohlentrimmen. Sie tragen die schweren Körbe voll an jedem Ende einer Stange, die sie auf die Schulter schwingen, und haben immer ein kleines Kind dabei auf dem Rücken. Die Weise, in der die Frauen hier arbeiten, ist etwas ganz entsetzliches. Oft ziehen sie ein Gewicht, das bei uns eine Pferdekraft erfordern würde. So schleppen sie sich an uns vorbei, wie Mäuner gekleidet, mit offnem Munde und zusammenge- kuiffnen Augen, aller Verstand, alles Interesse von ihren Gesichtern geschwunden.

Eines Tages, als Miß Lessing und ich gerade am Wegrande ausruhten, hielt so eine Frau gerade vor uns an, um Atem zn schöpfen. Sie schob eine schwere Karre, und ihr armer alter Körper zitterte von der Anstrengung. Ihre Beine waren bloß und ihre Füße von den Steinen zerschnitten. Der Ausdruck auf ihrem wettergebräunten Gesicht war absolut blöde, und die Hände, die ihre Pfeife an­zündeten, sahen schwarz und knotig aus. Miß Lessing hat ein wahres Talent, mit den Leuten anzubändeln; ich glaube, die Ursache ist ihr gutes, freundliches Gesicht, aus dem ihre Seele leuchtet. Sie fragte die Alte, ob sie sehr müde sei. Da blickte jene auf, als ob sie uns eben erst bemerkt hätte, und nickte. Dann trat ein sonderbarer Ausdruck auf ihr Gesicht, und sie fragte Miß Lejsing, ob wir solche Leute seien, die einen neuen Gott hätten. Miß Lessing erklärte ihr, daß wir Christen wären. Mit einem Sehnsuchtsblick, den ich nirgends sonst anßer im Auge eines Hundes bemerkt habe, sagte sie dann: Wenn ich deinen Gott mit Opfern und Gebeten bezahlte, glaubst du, daß er meine Arbeit dann leichter machen würde? Ich bin so müde! Miß Lessing ließ sie neben sich aufs Gras setzen und redete wit ihr auf japanisch über den neuen Gott, der sich seine Hilfe nicht bezahlen läßt, und der etwas in ihr Herz legen könnte, das ihr Kraft zum Tragen jeder Bürde gäbe. Ich konnte nicht viel von dem, was sie sagten, verstehn, aber ich hielt ganz für mich allein eine kleine Andacht.

(Fortsetzung folgt)