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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ließen ciber auch die Schwierigkeiten schärfer als bisher hervortreten. Die Konser­vativen verharrten freilich in ihrem Widerstande gegen die Nachlaszstener, zeigten aber doch durch ihren Redner, Freiherrn v. Richthvfen, eine Abkehr von der schroffen Haltung gegenüber der Blockpolitik. Die Nationalliberalen traten zum erstenmale Herr Bassermann hielt eine seiner besten Reden entschieden auf deu Boden der Nachlaßsteuer oder erweiterten Erbschaftssteuer, und auch Reichspartei und Wirtschaftliche Vereinigung taten, wenn nnch etwas verklausuliert und nicht be­dingungslos, dasselbe. Andrerseits sprach der Redner der Freisinnigen Volkspartei, der Abgeordnete Meiner, recht scharf gegen die Konservativen, noch scharfer oder richtiger gesagt, leidenschaftlicher freilich der Volksparteiler Haußmann, aber hier herrschte der Eindruck vor, daß der Redner stark über die Grenze hinaus­gegangen war, die die führenden Elemente seiner eignen Partei ihm gezogen hatten. Wenn er den Block schon für tot erklärte, während der Sozialdemokrat Dr. David ihn doch wenigstens nochröcheln" hörte, so fand doch der Reformparteiler Zimmermann allgemeinere und stärkere Zustimmung, als er meinte, wenn der Block uach solchen scharfen Reden noch zusammenhielte, dann sei er überhaupt uicht um­zubringen. Und trotz allen Übeln Prophezeiungen nnd wissenschaftlichen Leichen- nttesteu scheint es, als sei der Block auch wirklich uicht umzubringen.

Diesmal griff der Reichskanzler erst später in die Debatte ein. Er benutzte dazu den Augenblick, als ein täppischer Angriff des Welsen Götz von Olenhusen ihn unmittelbar auf den Kampfplatz rief. Mit großer Schärfe wies Fürst Bülow die Zweifel, die der Welfe gegen seine Königstreue zu äußern gewagt hatte, zurück und verabfolgte deu welfischen Bestrebungen ein Sturzbad, das sie wohl so kräftig und ausgiebig uicht erwartet hatten. Er erweiterte auch hier die Antwort auf einen unbedachten Angriff zu einer Kundgebung von grundsätzlicher Bedeutung für die innern Verhältnisse des Reichs. Dabei fand er Gelegenheit, in sehr eruster Form die Augriffe auf den Kaiser zurückzuweisen und sein Verhältnis zum Kaiser zu beleuchten. Und auf die Anspielungen, daß er wohl nicht lange mehr im Amte bleiben werde, gab er die feste und deutliche Autwort:Ich bleibe so lauge, als mir das Vertrauen Seiner Majestät des Kaisers zur Seite steht, und als es mit meinem Gewissen verträglich ist. Wenn eine dieser beiden Voraussetzungen hin­fällig werden follte, so werde ich keinen Augeublick länger bleiben." Noch in mauchen andern Punkten schlug der Reichskanzler eine scharfe Klinge, aber der wichtigste Teil seiuer Rede war doch der letzte, der sich mit der Neichsfinanzreform beschäftigte. Fürst Bülow entfaltete seine große Geschicklichkeit, deu Standpunkt der Verbündeten Regierunge» deutlich und entschieden zu präzisieren und festzuhalten und dabei doch keinen der kleinen Fäden fallen zu lassen, deren Zusammeuknüpfen den Block doch noch wieder zusammenführen nnd das Gelingen der Reichsfincmzreform sichern kann.

Ob es glücken wird? Mit einiger Bangigkeit wird die Frage überall gestellt, nachdem der Reichstag noch den Etat fertig beraten hat und dann in die Oster- ferien gegangen ist, ohne daß in der Reichsfinciuzreform trotz genügender Zeit auch nur eine einzige wirkliche Entscheidung getroffen worden ist. Aber es fehlt auch nicht an Anzeichen, daß der schlimmste Tiefstand überwunden ist. Im Volke hat sich iu allen Kreisen der entschiedne Wille geregt, daß das Werk zustandekommen muß. In der Osterzeit muß die Klärung erfolgen, und dann werden gleich nach dem Wiederbeginn der Arbeiten rasch bestimmte Entschlüsse zu fassen sein. Hoffent­lich fallen sie in der Richtung, die, wenn sie auch vielleicht uicht allen Wünschen entspricht, im Laufe einer monatelangen Kampf- und Überlegungszeit als die richtige, weil die einzig mögliche, erkannt worden ist.

Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig Druck von Karl Marquart in Leipzig