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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Karl dem Fünften, das Reich finanziell auf eigne Füße zu stellen, es unabhängig zu machen von den gelegentlichen und kargen Leistungen der Reichsstände. Was damals in einer noch halb naturalwirtschaftlichen Zeit unbeholfner, schwerfälliger Verwaltung geschah, das darf sich in unsrer Zeit einer schlagfertigen, durchgebildeten Verwaltung und Geldwirtschaft unter keinen Umständen wiederholen. Der Anteil des deutschen Volks an der kommende» Reichsfinanzreform darf nicht nur in den Protesten einzelner Kreise gegen irgendein ihnen gerade unbequemes Steuerprojekt bestehn, wie bisher. Die Existenz des Reichs ist die Grundlage für die Existenz unser aller. Unser Volk ist seit der Gründung des Reichs so wohlhabend geworden, daß es jährlich viele Millionen für Bier und Tabak, Wein und Branntwein, für weite Reisen und für zahllose Feste zahlloser, teilweise recht überflüssiger Vereine ausgeben kann; da will es nicht imstande sein, aus der Borg- und Schuldenwirtschaft, in der sich bisher die Reichsfinanzcn bewegt haben, herauszukommen und dem Reiche endlich zu gebeu, was des Reiches ist?
Im Vordergrunde der auswärtigen Politik steht noch immer Marokko. Wenn französische Zeitungen in der Niederlage des Sultans Abdnl Asis zugleich eine Niederlage der französischen Marokkopolitik konstatieren, so verraten sie damit nur, daß diese Politik ganz andre Ziele verfolgt hat als die Durchführung der Algeciras- akte, und diese Politik ist allerdings verdientermaßen kläglich gescheitert. Die allgemeine Anerkennung des neuen Sultans Muley Hafid kann nun doch nur noch eine Frage der allernächsten Zukunft sein. Frankreich wird ja immer bei seiner Stellung in Algier einen starken Einfluß auf das benachbarte Marokko ausüben, aber allein entscheiden soll es nicht, sondern nur gemeinsam mit den Vertragsmächten. Marokko wird damit gewissermaßen unter die Gesamtüberwachung Europas gestellt, wie lange Zeit die Türkei; weiter zu gehen war in dieser niemals die Absicht der im besten Sinne konservativen deutschen und österreichischen Politik, die immer nur die Entwicklung und Regelung der türkischen Verhältnisse erstrebt hat, um einen Zerfall des Reichs mit feinen unabsehbaren Folgen zu verhindern. Dasselbe erstrebt sie in dem scherifischen Reiche, und hoffentlich wird sie damit Erfolg haben. Auf einem Boden, wo so mächtige und geschlossene Kulturen aufeinanderstoßen wie die christlich-abendländische und die mohammedanisch-orientalische, da ist Geduld uud Vorsicht die einzig richtige Politik für europäische Mächte, sonst sind schwere Rückschläge unvermeidlich. __ «
Verwaltungsingenieure alter und neuer Zeit. Von dem Charlottenburger Hochschulprofessor Franz ist das Thema der „Verwaltungsingenieure" wiederholt öffentlich behandelt worden. Er will eine besondre Gattung von Ingenieuren schaffen, die nach absolvierter Hochschulbildung bei den Verwaltungen wie die Juristen ausgebildet werden sollen. Die große Bedeutung der Frage der Neurekrutierung unsers Beamtennachwuchses für die staatliche oder kommunale Verwaltung soll hier nicht näher erörtert werden, aber daß schon heute ein Teil unsrer Staatstechniker mehr Verwaltungsaufgaben als technische Aufgaben zu erfüllen hat, läßt sich nicht bestreiten. Insonderheit kann für unsre Eisenbahnverwaltung gar nicht bestritten werden, daß hier dem Techniker schon zahlreiche Verwaltungsaufgaben, besonders in der Leitung der Betriebsinspektionen, zugefallen sind. Hier handelt es sich darum, dem Techniker schon jetzt dieselben Chancen zu eröffnen wie dem Juristen. Das ist heute durchaus möglich. Ju dieser Hinsicht sind die Verhandlungen in der Budgetkommission dieses Jahres über den Eisenbahnetat besonders lehrreich. Noch in spätern Zeiten werden diese Verhandlungen, in denen die Technikerfrage unsrer Zeit angeschnitten wurde, als kulturhistorische Zeitbilder gewürdigt werden. Auf deu Vorschlag, dem Techniker eine größere Beteiligung an den administrativen Geschäften und den leitenden Stellungen zu geben, gab der Minister Gründe für die bisher