Das Wasserstraßengesetz in Preußen und der deutsche Seehandel Z71
„Das Meer ist nur der Weg,"") aber kann ein Volk diesen Weg entbehren, dessen auswärtiger Handel an Ausdehnung zunehmen muß, um dem innern Markt seine zunehmende Bedeutung sichern zu können? Deutschlands Lage zur See kann doch so hoffnungslos nicht sein, denn sein auswärtiger Handel, von dem für die Ausfuhr zwei Drittel, für die Einfuhr etwa die Hälfte Seehandel ist,"^) hat doch unsern innern Markt trotz der Konkurrenz des Auslandes bisher getragen. In welchem Verhältnis das „Einfuhrland" Deutschland zur See steht, wird eben nicht allein bedingt durch den Handelsverkehr mit überseeischen Ländern noch dnrch die Beschaffenheit seiner Küste uud durch die Art und Weise, wie das Gebiet des Deutschen Reiches in die Ländermasse von Europa eingelagert ist. Mitbestimmend auch für uns ist das allgemeine Verkehrsgesetz, daß der Handel immer den billigern, wenn auch weitcrn Seeweg wühlt, wo die Art der Waren die Konkurrenz des Landweges ausschließt. In der Einfuhr nach Deutschland stehn obenan zwei überseeische Länder, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien, dann folgen Rußland, Österreich-Ungarn und Frankreich, in weiterm Abstände erst Belgien, die Niederlande nnd Italien. Aber sogar aus dem zu Lande Deutschland benachbarten, durch Eisenbahnen und schiffbare Flüsse so vielfach mit uns verbundncn österreichischen Doppelstaat kommt ein kleiner Teil des Handels zu uns über See von Trieft aus, die italienischen Waren wählen, soweit sie die hohen Frachtsätze der Alpenbahnen nicht tragen können, ebenfalls den Umweg uin halb Europa, und Rußland nnd Frankreich schicken einen großen Teil der Einfuhr nicht über die Landgrenzen zu uns, sondern benutzen den Seeweg, der von Norden her in nnsre Flußhäfen führt.
Die Motive des Wasferstraßcngesetzes sprechen vielfach von der Konkurrenz zwischen Wasserweg und Landweg für den innern Verkehr, ich möchte betonen, daß diese Konkurrenz schon außerhalb unsrer Grenzen beginnt. Auch wenn man feststellen will, in welcher Abhängigkeit die einzelnen Zweige der deutschen Volkswirtschaft und — noch mehr ins Detail gehend — einzelne, an verschiednen Orten des Reichsgebiets liegende Wirtschaftsbetriebe dieser Zweige der Volkswirtschaft zur See stehn, sollte man nicht fragen: Wo beziehen sie das her, was sie vom Ausland brauchen? sondern: Ans welchem Wege kommt es zu ihneu?
Ich gehe zu meinem zweiten Gcwährsmaun über. Anders als Sombart, der ein Bild der gesamten deutschen Voltswirtschaft im neunzehnten Jahrhundert geben will, von dem dessen Verhältnis zur See nur ein Teilgebiet bedeutet, stellt Wicdenfeld den Seeverkehr in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Das Volkswirtschaftsleben als Ganzes dient ihm nur zum Hintergrund. Er führt — ich hebe aus der Fülle des Stoffes wieder nur das heraus, was unser Thema betrifft — aus, daß die Scelage eines Hafens, d. h. seine Entfernung nach „Übersee," heute nicht mehr von so ausschlaggebender Wichtigkeit sei, auf einige hundert Meilen mehr oder weniger komme es für den modernen
Friedrich Ratzel, Das Meer als Quelle der Völkergröße.
Die Seeinteressen des Deutschen Reiches, Berlin, Mittler K Sohn, 1S98.