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Defregger in Berlin
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Defrcgger in Berlin

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eine künstlerische Absicht zu Grunde liegen, oder auch die Rücksicht auf einen Wandel im Geschmack der Zeitgenossen, dein sich nur Maler von so starkem, eigenwilligem Temperament, wie es Nembrandt hatte, entzieh» können.

Auch den Wandlungen, die Nur in der malerischen Auffassung Defreggers beobachten können, liegen sicherlich bestimmte künstlerische Absichten zu Grunde. Je mehr er das Hauptgewicht ans die Charakteristik legte, desto mehr trat das Malerische zurück, oder es machte sich doch nicht so aufdringlich bemerkbar, daß darüber die Hauptsache zu kurz kam. Daß das Malwerk bisweilen auch un­zulänglich und schwach war, soll bei einigen Bildern Defreggers aus seiner letzten Zeit nicht geleugnet werden. Das ist aber keineswegs ein Gruudzug seines gesamten Schaffens der letzten Jahre, der etwa auf eine Abnahme seiner Kraft infolge zunehmenden Alters deutetet Gerade unter seinen letzten Bildern sind einige, wie z. B. der Kriegsrat im Jahre 1809 (1897 gemalt) und eine Eifersuchtsszeue zwischen einem Liebespaare im Dorfwirtshaus (von 1899), die in der malerischen Behandlung nicht hinter dem Besten, das er jemals gemalt hat, zurückstchn.

Während sich das Interesse von Defreggers Landsleuteu vornehmlich auf seine geschichtlichen Bilder konzentriert, werden in Deutschland seine Sitten­bilder, seine ernsten und humoristischen Darstellungen aus dem tirolischen Volks­leben ">,srer Zeit höher geschützt. Wir haben schon bemerkt, daß die Mehrzahl der Bilder Defreggers, soweit sich das noch statistisch feststellen läßt, in Nord- dentschland ist. Der Nächstliegende Grnnd des im allgemeinen gleichgültigen Verhaltens der Tiroler gegen die Schilderungen ihres Thuns und Treibens durch einen Landsmann ist wohl, wie wir ebenfalls schon hervorgehoben haben, darin zu suchen, daß der Tiroler für Kunstwerke zum eignen Besitz wenig Geld auszugeben gewohnt ist. Daneben spielen aber auch noch tiefere Gründe mit, die im Volkscharakter wurzeln. Die Tiroler sind ein wenig empfindsames Geschlecht. Wenigstens wissen sie ihre Empfindungen sehr geschickt zu ver­bergen, und wenn wir ihnen anch Familiensinn keineswegs absprechen wollen, so ist er doch nach der Gefühlsseite nicht so ausgebildet wie in Deutschland. Auch hier sind gewisse Gradunterschiede festzustellen, wobei die rauhe Außen­seite, die Gefühlswallungen nicht gern durchkommen läßt, im äußersten Süden und im höchsten Norden stärker hervortritt als in Mitteldeutschland uud überall da, wo Schwaben sitzen. Vielleicht ist aber der Boden für Defregger nicht so sehr durch die verschiedne Empfänglichkeit der Stammescharaktere als durch die nord- und mitteldeutschen Maler vorbereitet worden. Was die Düsseldorfer, Dresdner und Berliner Maler, unter den letzten besonders Ludwig Richter und Friedrich Eduard Meyerheim, seit dem Anfang der dreißiger Jahre durch ihre gemütvollen Darstellungen aus dem deutschen Volks- und Familienleben für die Veredlung und Vertiefung des Familiensinns gethan haben und mit ihnen die Kunstvereine, die sich um die Verbreitung ihrer Bilder redlich be­müht haben, wird ihnen die Kulturgeschichte der Zukunft vielleicht höher an­rechnen, als ihr rein künstlerisches Verdienst.