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nachgiebt, sondern ihnen auch in jedem einzelnen Falle Recht geben will. Er stellt seine Intelligenz in die unumschränkte Dienstbarkeit seiner jedesmaligen Leidenschaft, so daß es ihm möglich ist, seiner ersten Maitresse Frau v. Puisieux zu Gefallen sich in den Schmuz der bi^oux irräiserets gleiten zu lassen; aber dann wieder ein späteres Verhältniß, das er hinter dem Rücken seiner Frau unterhielt (ohne ein solches konnte er nie sein), in unzähligen Briefen als einen Jdealbund von Tugend und Edelsinn speculativ aufzulösen, da er hier allerdings einen zart weiblichen Sinn fand, dem er kein evrrumpirtes Herz zeigen durste. Wenn er nun dieses unmoralische Verhältniß mit endlosen Moralflittern zu verbrämen sucht und in einigen Schriften unter dem unwillkürlichen Bedürfniß der Selbstapologie sogar dem Ehebruch im Allgemeinen die Unsittlichkeit völlig abspricht, so wird jedem dieser Atheismus mit dem Heiligenschein in seiner Unaufrichtigkeit niedriger gelten als die atheistische Jmmoralität sairs xlrrass. Ueberhaupt ist das Mvralisiren an vielen Orten für Diderot nur Mittel zum Zweck, da er sehr wohl weiß, daß Ueberzeugungen nicht blos das Wahre, sondern auch das Gute zur Basis erfordern. Es versteckt sich hinter seinen rührenden Gcfühlsergüssen meist eine recht nüchterne, selbstische Absicht, die von derber realistischen Beurtheilern, als Herr Rosenkranz ist, weit schärfer hervorgehoben werden wird. Namentlich wird auch der gerühmte Wvhlthätig- keitssinn Diderots manches von seinem Glänze verlieren. Man muß nur lesen, wie gut Diderot seine Wohlthaten selbst zu erzählen weiß, und wie er stellenweise mit seinen Gefühlen für die Menschheit prunkt, um in dieser Hinsicht etwas bedenklich zu werden. Die Gleichgiltigkeit, mit der er sein Geld an Fremde weggab, und die selbstbewußte Geschäftigkeit, womit er seinen Freunden diente, kann ihm nicht überall unbedingt zur Tugend angerechnet werden. Uns erscheint Diderot als der wahre „Mann von Eisen", den sein Kopf bei keiner Handlung im Stiche ließ. Darum haben wir uns auch hinsichtlich der Verfeindung Rvusseaus mit Diderot, für welche Herr Rosenkranz mit neuem, lichtvoll combinirten Material die Hauptschuld nicht, wie noch jetzt die herrschende Meinung in Frankreich ist, auf Seiten Diderots, sondern auf Seiten Rousseaus nachgewiesen — eine der interessantesten Rettungen, die unsere neuere Literatur aufzuweisen hat —, von der völligen Unschuld des Ersteren nicht überzeugen können. Rousseau mit allen seinen abscheulichen Schwächen und Lastern war doch eine feinfühlende, leicht verletzbare Natur, die sich^ wie auch Herr Rosenkranz zugiebt, fast beständig über sich selbst täuschte; das Letztere war aber bei Diderot nicht der Fall; dieser kannte sich selbst, gleichwie Rousseau von ihm erkannt war; er war der stärkere Charakter von tuiden, aber es ist nicht zu ersehen, daß er alles gethan habe, um den Bruch zu verhüten. Mancher Vor- Wurf von Dingen, die Rvusseau in seiner zartesten Eigenthümlichkeit wirklich verwunden konnten, ist unwiderlegt geblieben, und die maßlose Jnvcctive, die