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Neue historische Schriften.
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beitung der römischen Geschichte für uns Deutsche zugleich dasjenige Studium gewesen ist, an dem wir unsren historischen Sinn und unsre historische Darstel­lung überhaupt geübt, an dem wir gelernt haben, wie man forschen und wie man Geschichte schreiben soll, so scheint es uns nicht unzweckmäßig, einen flüch­tigen Blick auf den Gang dieser Forschung im allgemeinen zu werfen.

Die Ueberlieferungen der romischen Geschichte schreiben sich aus einer Zeit her, die einen rhetorischen, oder, wenn wir die Schillersche Terminologie beibe­halten wollen, einen sentimentalischen Charakter an sich trug. Unsre Quellen waren hauptsächlich Livius und Plutarch, und was uns an ihnen vorzugsweise interessirte, die Anekdoten von dem Geist des Volks, die freilich einen symbo­lischen und typischen Charakter hatten, aber keineswegs die Unbefangenheit von rein und unverfälscht überlieferten Mythen, die vielmehr sämmtlich durch die Rhetorik eines spätern Zeitalters ausgeschmückt waren. Die Geschichten von Regulus, von Coriolan, von Fabricius, von Brutus, von Cineinatüs u. s. w. wußten wir auswendig, ehe noch irgend jemand unter uns auf den Unterschied mythischer und historischer Ueberlieferung seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Aus diesen zum Theil ganz werthlosen Charakterzügen setzten wir unö ein Bild des römischen Lebens zusammen, welches in unsren Schulen als. Ideal aufgestellt wurde, und von dem man auch gar keinen Anstand nahm, Wünsche und Forderungen für das gegenwärtige Staatöleben herzuleiten.

Nun trat jene Reaction in unsrer deutschen Bildung ein, welche die Kunst, die Philosophie und die Wissenschaft gleichmäßig berührte und aus einem freieren Studium des griechischen Lebens und der griechischen Kunst hervor­ging. Wenn sich die sogenannte Humanitätsbildung mit ihrem neugewonnenen griechischen Ideal wieder zur Betrachtung der römischen Geschichte zurückwandte, so traten ihr zunächst jene wohlbekannten mythischen Anekdoten entgegen, die sie aber nun in einem ganz andern Lichte auffaßte als früher. Denn der Grund­zug, der sich in ihnen allen ausspricht, die Verleugnung des allgemeinen sitt­lichen Jnstincts zu Gunsten einer Abstraction des Verstandes mußte in einer Zeit, wo man die Individualität, den Jnstinct und die sogenannte Natur auf den Altar hob, als eine Versündigung am heiligen Geist der Menschheit jedes suhlende Herz beleidigen. Diese Stimmung gegen das römische Wesen ist der Grundton der sogenannten philosophischen Geschichtschreiber. Am lautesten wurde er zuerst von Herder in seinenIdeen" angeschlagen, der in der ganzen römischen Geschichte einen sündhaften Abfall von der Natur sah; und der in seinem Haß gegen Rom soweit ging, daß er einmal das Schicksal auf das lebhafteste anklagte, weil es nicht dem edlen Hannibal und dem edlen Volk der Punier den Sieg über dieses Volk von Fanatikern und Barbaren verliehen habe. Von den übrigen Versuchen, über die Geschichte zu philosophiren, hat sich mit Recht nur der Hegelsche im Gedächtniß der Menschen erhalten.